Im Schutz der Nacht
die Stadt.«
Mellor ließ die Hand vorschnellen, packte Neenah am Kragen ihrer Bluse und zerrte sie aus ihrem Stuhl hoch in den Gang. »Schicken Sie ihn weg«, warnte er Cate erneut, während draußen schwere Schritte über die Holzveranda kamen und gleich darauf energisch an die Küchentür geklopft wurde. Mellor zog die Tür zum Korridor bis auf einen winzigen Spalt zu.
Ihre Kopfhaut prickelte vor Angst, und sie meinte, die Haare müssten ihr senkrecht zu Berge stehen, doch sie durfte sich nichts anmerken lassen, sonst würde dieser Mann Neenah umbringen, daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Vielleicht würde er sie ohnehin alle beide umbringen, nur zum Spaß oder um alle Zeugen zu eliminieren, die ihn identifizieren konnten. Sie brauchten Hilfe, aber solange Mellor hinter der Tür stand und mithörte, sah sie keine Möglichkeit, Mr Harris zu alarmieren, ohne dass Mellor es merkte.
Sie gab sich alle Mühe, jeden Ausdruck aus ihrer Miene zu tilgen, und öffnete die Tür.
»Ich fahre jetzt in die Stadt.« Mr Harris senkte den Blick, weil seine Wangen schon wieder rot anzulaufen begannen. »Haben Sie Ihre Post fertig?«
»Ich muss nur noch Briefmarken draufkleben.« Es kostete sie alle Kraft, ihre Stimme nicht beben zu lassen. »Ich bin sofort so weit.« Sie bat ihn nicht wie sonst immer herein, sondern huschte in den Korridor, wo neben der Treppe der Empfangstisch stand. Mellor zerrte Neenah beiseite, ohne den Lauf von ihrer Schläfe zu nehmen. Aus dem Augenwinkel sah Cate den anderen Mann, Huxley, an der Haustür Wache halten.
Mit zitternden Händen griff Cate nach den vier Briefen, klebte hastig Briefmarken auf und eilte dann in die Küche zurück. »Tut mir leid, dass Sie warten mussten«, sagte sie und reichte die Briefumschläge durch den Türspalt nach draußen.
Er warf einen Blick auf die Umschläge, wobei ihm das
Haar in die Augen fiel, und sah die vier Briefe kurz durch. »Kein Problem«, sagte er. »Auf dem Rückweg bringe ich das neue Schloss vorbei.« Damit drehte er sich um und marschierte die Stufen hinunter, kletterte in seinen Pick-up und setzte rückwärts aus der Zufahrt.
Cate schloss die Tür und ließ die Stirn gegen den Türrahmen sinken. Er hatte nichts bemerkt. Damit konnten sie nicht mehr auf Hilfe hoffen.
»Gut gemacht«, lobte Mellor und schob die Tür zum Korridor auf. »Also, wo sind Laytons Sachen?«
Sie drehte sich um und schnappte mehrmals hektisch nach Luft, weil ihr die Angst die Kehle zuschnürte. Er hatte inzwischen Neenahs Haare gepackt und ihren Kopf so weit in den Nacken gezogen, dass sie kaum das Gleichgewicht halten und sich unmöglich wehren konnte. Neenah schnappte ebenfalls nach Luft und sah sie mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund an.
Cate versuchte nachzudenken und ihr fußlahmes Hirn in Marsch zu setzen. War es geschickter, Zeit zu schinden, oder sollte sie den Männern lieber alles geben, was sie wollten, in der Hoffnung, dass sie damit abziehen würden? Aber was würde sie erreichen, wenn sie weiter Zeit schindete? Jeder Verzug erhöhte nur die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Mutter und ihre Kinder hereinspaziert kamen, und sie würde alles, einfach alles tun, um das zu vermeiden.
»O-oben«, keuchte sie. »Auf dem Speicher.«
Mellor zerrte Neenah zurück und wies mit dem Kinn zur Treppe. »Sie gehen voran.«
Cates Knie schlotterten so heftig, dass sie kaum gehen und noch viel weniger Treppen steigen konnte, der kurze, angsterfüllte Blick, mit dem sie sich zu Neenah umdrehte, verriet ihr, dass Neenah nicht in besserer Verfassung war.
Ihre Freundin war völlig still geworden, abgesehen von ihrem hektischen Keuchen gab sie keinen Laut von sich und schlotterte sichtbar.
Cate hielt sich am Geländer fest, zog sich daran hoch und beschwor gleichzeitig ihre Beine, nicht einzuknicken. Noch nie war ihr die Treppe so steil oder so lang vorgekommen. Da das viktorianische Haus hohe Decken hatte, waren die Stufen höher als üblich, und jede einzelne kostete sie unglaubliche Kraft, weil sie sich ganz darauf konzentrieren musste, nicht zu stürzen. »Schneller«, knurrte der Mann hinter ihr und schubste Neenah vorwärts, die daraufhin gegen Cates Beine prallte und sie beide ins Straucheln brachte.
»Lassen Sie das!«, brauste Cate auf und wirbelte herum; über dem plötzlich aufflammenden Zorn vergaß sie ihre Panik vollkommen. »Sie machen alles nur komplizierter. Wollen Sie den verfluchten Koffer oder nicht?« Ihre eigene Stimme drang wie aus
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