Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
auf ihrem Nachhauseweg.
Der Nachmittag bot eine positive Entwicklung und einen Rückschlag. Zunächst zeigte die Filmsequenz einer Überwachungskamera tatsächlich die beiden Motorradfahrer auf dem Autobahnzubringer in Ringön. Die Wappen ihrer Westen wiesen sie als Mitglieder des Red Devils MC aus, einer Supportergruppe der Hells Angels. Jedoch stand die Zeit der Kamera auf 22.36 Uhr, und somit konnten sie unmöglich etwas mit dem Mord zu tun haben. Zu diesem Zeitpunkt torkelte Patrik Karlsson bereits brennend vor das ehemalige Vereinshaus. Dennoch war natürlich interessant, was sie in diese Gegend geführt hatte. Auf diese Frage gab es noch keine Antwort, aber der Umstand an sich wurde als beachtenswert notiert.
Ritva Ekholm wohnte in dem Haus gegenüber des Glady’s. Die Haustür ihres Treppenaufgangs führte auf den Södra Vägen. Ein kleines Messingschild an der geschnitzten Eichentür mit hübschen kleinen geschliffenen Glasfenstern verriet, dass das Haus 1892 erbaut worden war. Irene hatte sich den Türcode geben lassen und gab die Zahlen ein. Die Tür öffnete sich mit einem diskreten Summen. Im Entree schien die Zeit stillzustehen. Stuck an der Decke, Fresken mit Blumenmotiven an den Wänden und ein Kronleuchter. Das Gefühl, sich zeitlich hundert Jahre zurückbewegt zu haben, war überwältigend. Es gab jedoch auch einen modernen Fahrstuhl. Irene fuhr ins fünfte Stockwerk. Ritva Ekholm hatte ihr gesagt, dass man das letzte Stockwerk nur zu Fuß erreiche. Ihre Wohnung lag im Dachgeschoss.
Die stabile Wohnungstür sah ganz neu aus. Irene bemerkte, dass sie drei Schlösser hatte, zwei davon waren Spezialschlösser. Durch die Tür drang klassische Musik, Streicher. Niemand öffnete nach dem ersten Klingeln. Irene musste noch einige weitere Male schellen, bis in der Diele Schritte zu hören waren. Ein Schlüssel wurde herumgedreht und die Tür geöffnet, allerdings nur so weit, wie es die Sicherheitskette zuließ. Die Streicher dröhnten jetzt ins Treppenhaus. Durch den winzigen Spalt sah Irene eine große Brille und lockiges blondes Haar.
»Ich bin Kriminalinspektorin Irene Huss«, sagte sie und zeigte ihren Ausweis.
»Kommen Sie rein!«
Mit einem Rasseln wurde die Kette entfernt und die Tür weit geöffnet. Ritva Ekholm lächelte Irene an. Jetzt drang nicht nur Musik, sondern auch Zigarettenrauch aus der Wohnung. Die Chemiedozentin war eine recht kleine und hübsche Frau. Ihr unbändiges, schon leicht ergrautes blondes Haar hatte sie auf dem Kopf hochgebunden. Sie trug ein hellblaues Herrenhemd aus dünner Baumwolle und schwarze, weite türkische Hosen. Das Hemd war ihr etliche Größen zu groß. Die Nägel ihrer nackten Füße waren knallrot lackiert. Hinter der runden Brille funkelten ein Paar schwarz geschminkte Augen. Ihr Lächeln war herzlich, die Zähne allerdings vom Nikotin gelb verfärbt. Nichts passte zu dem Bild, das sich Irene von einer Dozentin gemacht hatte.
»Entschuldigen Sie. Ich habe das Klingeln vermutlich nicht gleich beim ersten Mal gehört«, sagte Ritva, drehte sich um und verschwand ins Innere der Wohnung.
»Das macht gar nichts …«
Irene unterbrach sich, als sie einsah, dass die Dozentin sie unmöglich noch hören konnte. Sie betrat die großzügige Diele und schloss die Tür hinter sich. Außerdem drehte sie den Schlüssel eines der Spezialschlösser um. Sie hatte das Gefühl, dass Ritva Ekholm das auch immer zu tun pflegte.
Als Irene zwei Schritte weitergegangen war, sah sie, dass sie sich in einer Maisonettewohnung befand. Im unteren Teil gab es kaum Wände, Wohnzimmer und Küche gingen ineinander über. Eine elegante Holztreppe mit funkelnden Stufen führte in den oberen Bereich. Vermutlich befanden sich dort Schlaf- und Badezimmer.
Die Einrichtung des großen Zimmers bestand aus einer Mischung verschiedener Stile. Das Meiste schien vom Flohmarkt zu stammen, aber einige Stücke waren vermutliche richtige Antiquitäten. Darunter befanden sich aber auch einige neue Designermöbel. Irene fand es schade, dass die Räume so unaufgeräumt waren, denn irgendwie hätte diese Stilmischung auch richtig gemütlich sein können. Drei Wände verschwanden hinter übervollen Bücherregalen. An der vierten Wand fanden sich mehrere schmale Fenster, die vom Fußboden bis zur Decke reichten. Zwischen den Fenstern hingen vier große Gemälde, die sehr teuer wirkten, falls sie wirklich echt waren. Irene vermutete, dass sie möglicherweise von dem Göteborger Künstler Ivar Ivarson
Weitere Kostenlose Bücher