Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
zugeteilt, weil Kommissar Persson ihn im Zusammenhang mit dem Mord an Patrik Karlsson wichtig fand. Obwohl sie nicht beweisen konnten, dass Kazan in der Kolgruvegatan gewesen war, wussten sie dank der Überwachungskameras doch, dass er sich in der Gegend befunden hatte. Allein das sei verdächtig, fand der Kommissar. Irene war ganz seiner Meinung.
Kazan war bei seinen Eltern gemeldet. Sie wohnten in einer Reihenhaussiedlung aus gelbem Backstein, die vermutlich aus den frühen 1980er Jahren stammte. An den Fassaden hatten viele Hausbesitzer kleine Fahnen aufgehängt. Irene sah schwedische, finnische und vor allen Dingen türkische Fahnen. Viele Fahnen hatte sie noch nie gesehen. Irene und Sara gingen auf das Haus von Kazans Eltern zu. Auch hier gab es eine Halterung für eine Fahne, die aber leer war. In den Beeten blühten Rosen und wunderbar duftender Lavendel. Noch bevor sie klingeln konnten, wurde die Tür von einer schlanken Frau in einem langen Jeansrock und einer Bluse mit kleinem Blumenmuster geöffnet, die sie erwartungsvoll ansah. Ihr lockiges Haar, das sie offen trug, war ergraut. Handsome hatte sein Aussehen von seiner Mutter.
»Ja, bitte?«, sagte sie.
Obwohl das nicht direkt feindselig klang, war es auch nicht sonderlich freundlich. Wie immer steht uns »Polizei« ins Gesicht geschrieben, dachte Irene. Alle wissen, dass wir hier sind, noch ehe wir geklingelt haben.
Sara und sie zeigten ihre Ausweise und stellten sich Kazans Mutter Sirwe Ekici vor.
»Wir würden gerne mit Kazan sprechen. Sie wissen sicher schon, was gestern Abend auf Danni Maras Fest geschehen ist«, sagte Irene ohne weitere Um schweife.
»Ja. Ich habe es heute Morgen im Fernsehen gesehen.«
»Dürften wir vielleicht reinkommen?«, fragte Irene und deutete auf die Nachbarhäuser.
Irene war aufgefallen, dass sich die meisten Vorhänge bewegten. Sirwe war das sicher ebenfalls nicht entgangen. Wortlos trat sie beiseite und ließ die Beamten eintreten.
In der kleinen Diele war es eng. In der Garde robe hingen Kleider in den verschiedensten Größen, darunter standen etliche Paar Schuhe. Irene hatte sich über Kazan informiert. Er war der älteste von vier Geschwistern und der einzige, der noch in der Türkei zur Welt gekommen war, die drei anderen waren in Schweden geboren. Auf dem Einbürgerungsantrag hatte die Familie angegeben, aus Kurdistan zu stammen. Als besonderen Grund gaben sie an: »Mann Türke, Frau Kurdin.« Als Zusatz war zu lesen, dass Zeynep Ekici ihren kurdischen Namen Sirwe wieder angenommen habe und der Sohn Günes den kurdischen Namen Kazan. Der Mann hieß Mahmut Ekici. Er betrieb zusammen mit einem Cousin eine Bäckerei mit Café. Laut den aktuellen Auskünften des Finanzamtes lief die Firma gut. Sirwe war Pflegehelferin und arbeitete in einem Altenheim in Gunnared. Als Kazans Eltern die Einbürgerung beantragt hatten, war dieser sechs Jahre alt gewesen. Seine beiden Schwestern waren vierzehn und zehn Jahre alt, der Bruder sieben. Alle diese Angaben, einschließlich Kazans Vorstrafen, hatte Irene innerhalb von fünfzehn Minuten aus verschiedenen Datenbanken zusammengetragen, auf die die Polizei im Internet Zugriff hatte.
Sirwe führte sie in ein übermöbliertes Wohnzimmer mit einem riesigen Fernseher an einer Wand. Auf dem Boden lag ein großer Teppich, und Irene bewunderte das schöne Muster in leuchtenden Farben. Sie nahm auf einem der Sessel Platz und Sara auf einem anderen. Sirwe setzte sich auf die Kante des roten Ledersofas. Wahrscheinlich trug das große Sofa dazu bei, dass sie noch kleiner und zerbrechlicher aussah. Sie verschränkte die Arme, als würde sie frieren. Vielleicht hatte sie auch das Gefühl, dass der Besuch der Polizei nichts Gutes verhieß.
»Kazan schläft«, sagte sie leise.
»Es ist fast elf Uhr. Könnten Sie so nett sein und ihn wecken?«, bat Irene.
Sirwe wich ihrem Blick aus und zuckte leicht mit den Achseln. Sie starrte auf den Teppich und murmelte:
»Schwierig. Er ist müde. Es geht ihm schlecht.«
»Das tut mir leid. Aber das nützt nichts. Wir müssen mit ihm sprechen«, erwiderte Irene.
»Er hat … getrunken«, sagte Sirwe mit einem hastigen Blick auf Irene.
Noch ehe Irene etwas sagen konnte, fragte Sara plötzlich:
»Wo ist denn der Rest der Familie?«
»Mein Mann ist im Café. Die Mädchen auch. Sie verdienen sich am Wochenende was dazu. Emre ist bei meiner Schwester und spielt mit seinem Cousin.«
»Emre ist also Ihr Jüngster?«, fragte Sara.
Irene wollte die
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