Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
Schachtel, die auf dem Tisch stand. Dann goss er ihr ein Glas Wasser ein, und sie nahm es mit zitternden Händen entgegen. Sie warteten, während sie sich sammelte. Anschließend nahmen sie das Verhör wieder auf.
»Du hast in Stockholm die Polizeihochschule besucht. Dann hast du einige Jahre in Trollhättan gearbeitet. Warum bist du dorthin zurückgekehrt?«, wollte Irene wissen.
»Ich habe meinen Mann kennengelernt. Er war Inspektor in Trollhättan und kannte meine Familie. Ich brauchte mich nicht zu verstellen, aber eigentlich gab es nicht so viel zu verbergen. Mein Vater verbrachte gelegentlich eine Nacht in der Ausnüchterungszelle, aber sonst war nichts. Meine älteren Brüder sind beide nicht kriminell, sieht man einmal von ein paar Bußgeldern für geringfügige Steuervergehen und Geschwindigkeitsüberschreitung ab. Aber bei Patrik war es etwas ganz anderes … alles, was ungesetzlich war, zog ihn an. Er war nicht davon abzuhalten. Am al lerwenigsten, nachdem er begonnen hatte, Drogen zu nehmen.«
Ihre Stimme wurde hart, und sie schnäuzte sich sorgfältig. Dann fuhr sie fort:
»Als er klein war, war er so süß. Und wahnsinnig lieb. Aber in der Schule hatte er Probleme. Also ging er kaum mehr hin. Und es wurde keineswegs besser, als er nach Göteborg zog. Irgendwie fühlte er sich bei den Gangs wohl … Vermutlich fand er dort eine Art Heimat. Ich zog ebenfalls nach Göteborg, um ihn und Mama im Auge behalten zu können. Aber Patrik ging seine eigenen Wege. Ich konnte nichts tun, außer für ihn da zu sein. Und das ist mir ja wirklich ganz wunderbar gelungen!«
Die Selbstvorwürfe waren nicht zu überhören. Dass Patrik ermordet worden war, betrachtete sie offenbar als eigenes Versagen. Sie hatte ihn nicht beschützen können. Sie machte sich für seinen Tod verantwortlich. Irene kannte dieses Verhaltensmuster von Müttern mit kriminellen Söhnen.
»Ist Patrik der Grund, weswegen du Informationen an den Gothia MC weitergeleitet hast?«, fragte Tommy.
Er hatte die Frage in freundlichem Ton gestellt, aber Ann zuckte zusammen, als hätte er ihr eine Ohrfeige gegeben. Eine hektische Röte breitete sich vom Hals über ihre Wangen aus. Einen Moment wirkte es, als sei sie vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten.
»Ja … ich …«
Sie verstummte und sah starr vor sich hin.
»Ann, wann hast du begonnen, Patriks Freunde vom Gothia MC zu informieren?«, fragte Irene.
Erst hatte es den Anschein, als wolle sie diese Frage nicht beantworten, aber nach einer Weile murmelte sie kaum hörbar:
»Nachdem … nachdem ihn diese verdammten Kanaken ermordet hatten. Er …«
Sie verstummte und blinzelte, weil ihr Tränen in den Augen standen.
»Hatte der Gothia MC bereits zu einem früheren Zeitpunkt Informationen von dir gefordert?«
»Nein.«
»Wer aus der Gang hat mit dir Kontakt aufgenommen?«, warf Tommy ein.
Sie begegnete trotzig seinem Blick.
»Niemand. Ich habe mich mit ihnen in Verbindung gesetzt.«
»Warum?«, fragte Irene.
Es war ihr gelungen, diese Frage auszusprechen, obwohl Anns Antwort sie überrumpelt hatte.
»Weil ich wusste, dass wir … die Polizei … die Mörder nicht fassen würden. Für euch … für die Polizei … war Patrik nur ein krimineller Rocker, der nur bekommen hatte, was er verdiente. Aber er war auch mein kleiner Bruder!«
Letzteres schrie sie förmlich. Ihr Blick hat etwas Seltsames, dachte Irene. Spielte sie eine Rolle? Vielleicht ließ sich Anns Verhalten ja teilweise mit einer labilen Psyche erklären, aber das konnte nicht sie entscheiden. Das war die Aufgabe eventuell hinzugezogener Psychiater.
»Du hast also mit dem Gothia MC Kontakt aufgenommen und ihnen angeboten, sie über die Ermittlung auf dem Laufenden zu halten, wenn sie sich bereit erklären, die Mörder deines Bruders zu töten?«, fasste Tommy zusammen.
Ann nickte nur.
»Haben sie dich für diese Dienste bezahlt?«, wollte er dann wissen.
»Nein. Mir ging es nur um Rache. Die habe ich bekommen.«
Bei diesen Worten lächelte sie kalt. Ein sehr unbehagliches Lächeln. Irenes Härchen im Nacken und an den Armen sträubten sich.
»Wer war deine Kontaktperson?«, fragte Tommy.
Ann schüttelte den Kopf und schaute auf einen Punkt oberhalb von Tommys Schulter. Er versuchte mehrmals, sie wieder zum Sprechen zu bewegen, aber sie schüttelte nur den Kopf.
»Ich möchte mit einem Anwalt sprechen«, sagte sie schließlich.
Als Irene ihren Computer einschaltete, fand sie eine Mail von Matti Berggren aus der
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