Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
beiden Kommissare schüttelten gleichzeitig die Köpfe.
»Das hat keinen Sinn. Wir haben zu wenig in der Hand«, meinte Tommy.
»Nur die Zeugenaussage eines Toten in Anwesenheit einer Polizistin. Wir können nichts beweisen«, meinte Lena Hellström und sah Irene von der Seite an.
Irene wollte schon protestieren und darauf hinweisen, dass schließlich auch die Spurensicherung Beweise vorgelegt hatte, dass es sich bei dem Koks vom Doppelmord auf Getterön um den gleichen Stoff handelte, den man später in Kazans Kleiderschrank gefunden hatte, aber sie beherrschte sich, denn das war auch das Einzige, was sie an Beweisen in der Hand hatten. Der Bandenanwalt von Hanke würde behaupten, dass die Spuren im Gothia- MC -Clubhaus manipuliert seien und überhaupt nichts bewiesen.
»Wir sollten nach Möglichkeit das Kokain finden. Dann lassen wir sie festnehmen«, meinte Stefan Bratt.
Sie packten Stifte und Blöcke zusammen.
»Wir treffen uns Freitagmorgen. Um neun Uhr wieder hier«, sagte Tommy Persson und erhob sich.
Er schien sich immer noch etwas von der Energie des Morgens bewahrt zu haben. Irene wünschte sich, er könnte ihr etwas davon abgeben.
Gegen sechs kamen jene Beamten zusammen, die die Überwachung des Pravda durchführen sollten. Das Pravda war nie ein richtiges Restaurant gewesen, sondern eher eine Kneipe. Beamte in Zivil waren mittags und nachmittags das Viertel abgegangen. Einige kluge Kollegen hatten sich Hunde geborgt. Sie gingen mit ihren vierbeinigen Alliierten spazieren, bemüht wie normale Hundebesitzer auszusehen.
Die Kommissare legten einen Plan vor, der mit einigen kleineren Änderungen angenommen wurde. Gegen Ende des Treffens informierte Stefan Bratt alle, dass Ann Wennberg die Informantin des Gothia MC war. Die Enthüllung rief verschiedene Reaktionen hervor. Einigen Kollegen waren wohl schon Gerüchte zu Ohren gekommen, aber die meisten reagierten bestürzt und wollten es nicht glauben. Kommissar Bratt nickte nur, ohne seine Gefühle preiszugeben. Nach einer Weile ergriff er wieder das Wort:
»Wir werden die Vernehmung von Ann Wennberg morgen fortsetzen. Aber sie hat bereits gestanden. Tragische Familienverhältnisse sind das Motiv. Ich werde euch auf dem Laufenden halten«, sagte er und machte deutlich, dass das Thema damit beendet war.
Als sie sich gegen acht trennten, wussten alle, was sie am nächsten Tag zu tun hatten.
Irene ließ sich in der Tiefgarage einen zivilen Dienstwagen zuteilen. Darauf hatte sie sich mit Tommy geeinigt. Sie fuhr durch die Schranke und sah im Rückspiegel, wie sie sich hinter ihr schloss. Um sich zu vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurde, drehte sie ein paar Runden um den Block. Dann schlug sie die Richtung nach Jonsered ein.
Vor dem ICA -Supermarkt in Jonsered parkten einige Autos. Auf einem Schild standen die Öffnungszeiten: jeden Tag bis 21 Uhr. Während des Frühstücks war Irene aufgefallen, dass die Milch zur Neige ging. Auch von dem Käse war fast nur noch Rinde übrig gewesen. Eier gab es ebenfalls keine. Höchste Zeit, für die nächsten Tage einzukaufen.
Irene parkte den geliehenen Wagen vor dem Eingang. Um sich bei Tommy für die Gastfreundschaft zu bedanken, kaufte sie Lebensmittel für das Abendessen ein sowie Gemüse, Obst und Frühstück. Zwei große Tüten Brötchen aus dem Sonderangebot. Beeinflusst von ihrem schlechten Gewissen legte sie ein Vollkornbrot mit Sonnenblumenkernen in den Einkaufswagen, obwohl sie wusste, dass sie es ver mutlich nicht essen würden. Nudeln und eine fertige Tomatensauce mussten fürs Abendessen reichen. Für größere Kochaktionen war sie heute nicht in der Verfassung. Für das Abendessen des nächsten Tages wählte sie eine Tüte tiefgefrorener Kartoffelschnitze und Koteletts. Krister hätte einen Anfall bekommen, so teure Tiefkühlkartoffeln zu kaufen. Ich brauche es Tommy ja nicht zu verraten, dass ich die Kartoffeln nicht selbst geschält habe, überlegte Irene. Sicherheitshalber packte sie auch noch zwei Tiefkühlpizzen ein. Neben der Kasse stand ein großes Kühlregal mit Limo und Bier. Sie wählte ein Sixpack. Darüber würde Tommy sich freuen.
Irene parkte auf einem der Gästeparkplätze, die zu der Reihenhaussiedlung gehörten, da sie die Tüten nicht den ganzen Weg vom Supermarkt schleppen wollte. Dazu war sie mit ihrem lädierten Nacken nicht in der Lage. Als sie ausstieg, bemerkte sie, dass Tommys Auto noch nicht auf seinem Platz vor dem Haus stand. Vermutlich kommt er gleich, dachte sie.
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