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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Schrecken versetzen wollten, dachten wir uns, dies wäre die beste Gelegenheit.«
    »Das ist nicht nur eine gute Geschichte, es würde ihn auch zu der Annahme verleiten, dass die Ermittlungen sich auf seinen Partner konzentrieren. Beschattet Binchy Gull immer noch?«
    »Ja. Gull verhält sich unauffällig … Heute Abend eine kleine Spritztour zur Buchhandlung … Klar, warum nicht?«
    Ich gab ihm die Adresse.
    Er sagte: »Treffen wir uns doch einen halben Block weiter östlich, an der Ecke der Sixth. Komm ein bisschen früher - Viertel nach sieben.«
    »Den Schauplatz erkunden?«
    »Hey«, sagte er, »wir wollen doch nicht auf den billigen Plätzen sitzen.«

33
    Ich war um 19 Uhr 10 an der Ecke Broadway und Sixth. Es herrschte nicht viel Verkehr. Der Himmel sah aus wie gehämmertes Aluminium.
    Die Nächte in Santa Monica werden grundsätzlich kühl; an diesem Abend blies vom Meer her ein eisiger Wind. Ein Wind, der nach Seetang und Fäulnis roch und in seinem Gefolge mit metallischer Süße Regen verhieß. Zwei Obdachlose schoben Einkaufswagen über den Boulevard. Einer murmelte etwas und ging schnell an mir vorbei. Der andere nahm den Dollar, den ich ihm hinhielt, und sagte: »Hey, Mann. Du sollst ein besseres Jahr haben, okay?«
    »Du auch«, erwiderte ich.
    »Ich? Ich hatte ein tolles Jahr«, sagte er beleidigt. Er trug ein ausgefranstes lachsfarbenes Kaschmirsakko voller Flecken, das einmal einem großen, reichen Mann gehört hatte. »Ich hab in Vegas die Scheiße aus Mike Tyson rausgeprügelt. Hab mir seine Frau geschnappt und sie zu meiner Schlampe gemacht.«
    »Schön für dich.«
    »Es war richtig schööön .« Er entblößte seine Zähne zu einem lückenhaften Grinsen, lehnte sich in die Brise und schob weiter.
    Einen Augenblick später kam Milo um die Ecke der Sixth und ging auf mich zu. Er hatte sich im Revier umgezogen, trug eine ausgebeulte Jeans und einen alten hellbeigen Pullover mit Stehkragen, der ihn noch massiger wirken ließ. Sandfarbene Boots schlugen ihren Takt auf dem Bürgersteig. Er hatte etwas Steifes und Glänzendes in seine Haare getan, weshalb sie an manchen Stellen in die Höhe standen.
    »Irgendwie auktorial«, sagte ich. »Einer dieser irischen Dichter.« In meinen Augen sah er immer noch aus wie ein Cop.
    »Jetzt muss ich nur noch ein verdammtes Buch schreiben. Wer hat das heute Abend geschrieben?«
    »Ein Harvard-Professor. George Issa Soundso, der Nahe Osten.«
    Wir gingen auf die Buchhandlung zu. »Issa Qumdis.«
    »Du kennst ihn?«, fragte ich.
    »Hab den Namen schon mal gehört.«
    »Ich bin beeindruckt.«
    »Hey«, sagte er, »ich lese Zeitung. Selbst wenn sie keine Fotos von toten Mädchen bringen. Apropos, ich bin in den Clubs gewesen und hab versucht, Christa/Crystal ausfindig zu machen. Aber heute Abend sind wir intellektuell - da wären wir. Sieht aus wie in alten Collegetagen, nicht?«
    Sein College war die Indiana U gewesen. Fast alles, was ich von seiner Studentenzeit wusste, hing damit zusammen, dass er sich noch nicht als Homosexueller geoutet hatte.
    Wir standen vor der Buchhandlung, während er die Fassade inspizierte. »Die Feder ist mächtiger« nahm eine halbe Ladenfront ein, Glas über Ziegelsteinen, die vom Salz zerfressen waren, und Lettern, die an ein Poster der Grateful Dead erinnerten. Das geschwärzte Fenster war zum größten Teil mit Flugblättern und Bekanntmachungen beklebt. Die Lesung an diesem Abend wurde durch ein Blatt Papier mit der Schlagzeile »Prof. George I. Qumdis enthüllt die Wahrheit hinter dem zionistischen Imperialismus« angekündigt. Unmittelbar daneben hingen der Aufkleber einer exklusiven Kaffeemarke, die Legende »Drinnen gibt’s Java!« und eine B-Bewertung des Gesundheitsamts.
    »B«, sagte Milo, »bedeutet eine akzeptable Menge Kot von Nagetieren. Ich würde mich von den Muffins fern halten.«
    Drinnen roch es weder nach Kaffee noch nach Muffins, nur nach billigem, altem, feuchtem Zeitungspapier. Wo die Wände nicht mit Bücherregalen aus unbehandeltem Kiefernholz vollgestellt waren, bestanden sie aus freiliegenden Betonklötzen. Bücherregale auf Rädern waren aufs Geratewohl in der Mitte zusammengeschoben. Der vernarbte Vinylboden hatte die Farbe von zu altem Vanillepudding. Von der fast sieben Meter hohen Decke hingen Kabel und Leitern herunter - keine mit Rollen versehenen Bibliotheksleitern an Stangen, nur Aluminiumleitern zum Zusammenschieben -, für diejenigen gedacht, die bereit waren, auf dem Weg zur Gelehrsamkeit zu

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