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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Lauf der Jahre waren Zeugen gestorben oder verschwunden. Diejenigen, die durchhielten, waren bedroht oder belästigt worden. Angeklagte Schlächter wurden reich, weil sie von ihren Verteidigern einen Teil ihrer vom Gerichtshof finanzierten Anwaltskosten als Provision zugesteckt bekamen.
    Noch abträglicher war die Beschuldigung, dass die Richter des Tribunals absichtlich die Verzögerung von Prozessen gegen Massenmörder betrieben, weil die Befürchtung bestand, bei öffentlichen Verhandlungen käme die Mittäterschaft von UN-Personal am Völkermord ans Licht.
    Von ihrem sicheren Büro in Dublin aus antwortete eine Verwaltungsbeamtin des Gerichtshofs namens Maria Robertson, indem sie die Überlebenden wegen ihrer »aufhetzenden Sprache« beschimpfte und davor warnte, »einen Kreislauf der Gewalt anzuzetteln«. Bei einer Rede in Lagos unterstrich der Berater Professor Albin Larsen die Komplexität der Situation und riet zur Geduld.
    Der neunte Treffer stammte ebenfalls aus der nigerianischen Hauptstadt, und er machte mich stutzig: die Beschreibung eines »Wachposten für Gerechtigkeit« genannten Programms, das sich zum Ziel gesetzt hatte, junge Afrikaner vom Weg des Verbrechens abzuhalten.
    Die Gruppe, deren Mitarbeiter sich aus europäischen Freiwilligen rekrutierten, wollte dies erreichen, indem sie »synergistische Alternativen zum Gefängnis anbot, die wirksame Rehabilitation und Veränderung der Einstellung durch ganzheitlichen Nachdruck auf der Interaktion zwischen gesellschaftlich altruistischem Verhalten und gemeinsamen gesellschaftlichen Normen erzeugten, die während der vorkolonialen Ära eingerichtet, durch den Kolonialismus aber außer Kraft gesetzt wurden« . Zu den angebotenen Dienstleistungen zählten ein Kurs in Kindererziehung, Ausbildung in verschiedenen Berufen, Drogenberatung, Krisenmanagement und etwas, das »kulturelle Entmarginalisierung« genannt wurde. Die Synergie wurde illustriert durch die Benutzung von WfG-Bussen zum Transport von Häftlingen zum Gericht, die von WfG-Absolventen gefahren wurden. Die meisten der Freiwilligen hatten skandinavische Namen, und Albin Larsen war als Leitender Berater aufgeführt.
    Ich druckte diese Seite aus und sah mir anschließend die übrigen Treffer an. Weitere Vorträge von Larsen, dann der letzte, vor drei Wochen datierte Verweis: der Veranstaltungskalender einer Buchhandlung in Santa Monica, die den Namen »Die Feder ist mächtiger« trug. Ein Professor aus Harvard namens George Issa Qumdis sollte einen Vortrag über den Nahen Osten halten, und Albin Larsen würde die einführenden Worte sprechen.
    Der Vortrag war für diesen Abend angesetzt, in vier Stunden. Professor Larsen war ein viel beschäftigter Mann.
    Ich überflog den Ausdruck der »Wachposten für Gerechtigkeit« nach bestimmten Schlagwörtern und gab diese in verschiedene Suchmaschinen ein. »Synergistische Alternativen«, »wirksame Rehabilitation«, »Entmarginalisierung« und dergleichen ergaben jede Menge wissenschaftliches Kauderwelsch, aber nichts Brauchbares.
    Es war 17 Uhr 30, als ich den Computer ausschaltete, und ich hatte nicht viel vorzuweisen.
    Ich machte mir Kaffee, kaute an einem Bagel und trank, während ich aus meinem Küchenfenster auf einen grau werdenden Himmel blickte und nachdachte. Mir wurde klar, dass ich mich von dem billigen Trick der Recherche im Cyperspace hatte verführen lassen, und ich beschloss, es auf die altmodische Weise zu versuchen.
    Olivia Brickerman und ich hatten zusammen am Western Pediatric Hospital gearbeitet, sie als leitende Sozialarbeiterin und ich als frisch gebackener Psychologe. Da sie zwanzig Jahre älter war als ich, hatte sie sich als meine Ersatzmutter betrachtet. Ich hatte absolut nichts dagegen gehabt, weil sie eine wohlwollende Mutter gewesen war, die mich bekocht und ein fröhliches Interesse an meinem Liebesleben gezeigt hatte.
    Ihr Mann, ein internationaler Großmeister im Schach, hatte die »Endspiel«-Kolumne für die Times geschrieben. Mittlerweile war er gestorben, und Olivia hatte ihren Verlust kompensiert, indem sie sich wieder in die Arbeit gestürzt und einige kurzfristige, gut bezahlte Beraterjobs für den Staat übernommen hatte, bevor sie eine Stellung an der feinen alten Universität auf der anderen Seite der Stadt annahm, an deren medizinischer Fakultät ich nominell eine Professur innehatte.
    Olivia wusste mehr darüber, wie man sich Beihilfen und Zuschüsse verschaffte und wie Behörden funktionierten, als

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