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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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klettern.
    Ein korpulenter, langhaariger, junger Asiate saß hinter der Registrierkasse und hatte seine Nase in etwas vergraben, das in einfaches braunes Papier eingeschlagen war. Auf einem Schild hinter ihm stand RAUCHEN VERBOTEN, aber er paffte eine indische Kräuterzigarette. Auf einem anderen Schild stand über einer Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger LESUNG IM HINTEREN BEREICH. Der Angestellte nahm uns nicht zur Kenntnis, als wir an ihm vorbeigingen und begannen, uns durch das unregelmäßige Labyrinth zu zwängen, das die beweglichen Bücherregale bildeten.
    Die Buchrücken, die ich entziffern konnte, deckten eine Vielzahl von Ismen ab. Titel schrien uns mit der heiseren Pubertät von Westentaschenrevolutionären an. Milo überflog sie und kam aus dem Stirnrunzeln nicht mehr heraus. Wir gelangten schließlich zu einem kleinen, dunklen Bereich im hinteren Teil des Ladens, wo rund dreißig Klappstühle aus rotem Plastik vor einem Stehpult aufgestellt waren. Leere Stühle. Auf einem Schild an der Rückwand stand: TOILETTE (DAMEN + HERREN).
    Wir waren ganz allein.
    Trotz seiner Sprüche mit den teuren Plätzen setzte Milo sich nicht, sondern zog sich in das Labyrinth der Bücherregale zurück, wo er sich schräg hinstellte.
    Ein perfekter Aussichtspunkt. Wir konnten zuschauen und selbst außer Sicht bleiben.
    »Wie gut, dass wir zu früh sind«, flüsterte ich. »Bei dem großen Andrang, der zu erwarten ist.«
    Er warf einen Blick auf die Stuhlreihen. »All diese Klappstühle. Man könnte eine Gruppentherapie machen.«
    Da während der nächsten zehn Minuten niemand auftauchte, verbrachten wir die Zeit in den Regalen stöbernd. Milo schien beunruhigt zu sein, dann entspannte sich sein Gesicht und nahm einen versonnenen Ausdruck an. Ich schaute mir verschiedene Bücher an, und als die ersten Besucher hereintröpfelten, hatte ich einen Schnellkurs in vier Themen hinter mir: a) Wie man zu Hause Bomben bastelt, b) Wie man Landwirtschaft in Hydrokultur betreibt, c) Vandalismus im Dienst der guten Sache und d) Die moralischen Tugenden Trotzkis.
    Das Publikum verteilte sich auf die Stühle. Etwa ein Dutzend Leute, die in zwei Gruppen zu zerfallen schienen: gepiercte und tatöwierte Hobbyisten von ungefähr zwanzig mit Dreadlocks und in teuren zerfetzten Klamotten und Paare um die sechzig, in Erdfarben gehüllt, die Frauen mit strengen grauen Bubiköpfen behelmt, die Männer mit krausen Bärten und beschattet von Schirmmützen.
    Die Ausnahme war ein gedrungener Mann Mitte fünfzig mit gewellten Haaren, der eine marineblaue, bis oben zugeknöpfte Pijacke und eine zerknitterte Hose im Hahnentrittmuster trug und sich in die Mitte der ersten Reihe setzte. Sein vorspringendes Kinn war stoppelbärtig. Er trug eine Brille mit schwarzem Gestell, hatte breite Schultern und kräftige Oberschenkel und sah so aus, als käme er gerade von einer Gewerkschaftsversammlung der Hafenarbeiter. Er saß steif da, hatte seine Arme über der gewölbten Brust verschränkt und sein finsteres Gesicht auf das Vortragspult gerichtet.
    Milo musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen.
    »Was ist?«, flüsterte ich.
    »Ein wütender Bursche in der ersten Reihe.«
    »Wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches bei diesem Publikum.«
    »Klar«, sagte er. »Es gibt viel, worauf man wütend sein kann. In Scheiß-Nordkorea ist es gemütlicher.« Zwanzig vor acht, Viertel vor, zehn vor. Von Albin Larsen, dem Redner oder einem Mitarbeiter der Buchhandlung war nichts zu sehen. Ein ruhiges Publikum. Alle saßen nur da und warteten.
    Kurz vor acht betrat Larsen den Raum an der Seite eines hoch gewachsenen, würdevoll wirkenden Mannes, der ein kariertes Sportsakko mit Wildlederflecken an den Ellbogen, eine braune Flanellhose und glänzende, erdnussbutterfarbene Halbstiefel trug. Ich hatte jemanden erwartet, der nahöstlich aussah, aber Professor George Issa Qumdis hatte die rote Gesichtsfarbe und das majestätische Auftreten eines Oxford-Dozenten. Ich schätzte ihn auf fünfundfünfzig bis sechzig. Seine ziemlich langen graubraunen Haare lockten sich über dem Kragen eines steifen weißen Hemds. Seine gerippte Krawatte hatte vermutlich irgendwas zu bedeuten. Arrogante Nase, eingefallene Wangen, dünne Lippen. Er wandte dem Publikum zur Hälfte den Rücken zu und schaute auf eine Karteikarte.
    Albin Larsen trat ans Pult und begann mit leiser Stimme zu sprechen. Keine freundlichen Worte, kein Dank ans Publikum. Direkt zum Thema.
    Die Unterdrückung des palästinensischen

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