Im Sog der Angst
ich.
»Auf diese Weise bleibt alles frisch«, erwiderte Savarin.
Milo sagte: »Die Welt ist klein. Vielleicht kannte eins der Mädchen Angie oder Christi von früher.«
»Sie können in die Garderobe gehen und mit ihnen reden, aber Sie verschwenden wahrscheinlich Ihre Zeit.«
»Na ja«, sagte Milo, »das wäre für mich nichts Neues.«
Die Garderobe war ein Korridor voller Kram: Kostüme auf Ständern und Make-up auf Tischen, Fläschchen mit Aspirin und Mydol, Lotionen und Haarklammern, Perücken auf Styroporköpfen. Drei Mädchen lungerten in Hausmänteln herum und rauchten. Ein viertes, schlank und dunkel, saß nackt da, stützte ein Bein auf einem Tisch ab und stutzte ihre Schambeharung mit einem Rasierapparat zurecht. Aus der Nähe betrachtet, bildete das dicke Make-up eine Kruste. Aus der Nähe betrachtet, sahen die Mädchen wie Teenager aus, die sich betont lässig angezogen hatten.
Keine von ihnen kannte Angela Paul oder Christina Marsh, und als Milo ihnen das Foto der Leiche zeigte, nahmen ihre Augen einen erschrockenen und verletzten Ausdruck an. Das Mädchen mit dem Rasierer fing an zu weinen.
Wir murmelten ein paar tröstende Worte und verließen den Club.
Das Großraumbüro der Detectives war leer. Wir gingen weiter zu Milos Büro, und er ließ sich in seinen Sessel fallen. Es war kurz vor zwei.
»Was treibt man denn so in Minnesota?«, sagte er. »Die Kühe melken? Wildreis ernten?« Er schüttelte den Kopf. »Milch-und-Honig-mäßig.«
»Ist es zu früh, um dort bei den Cops anzurufen?«
Er rieb sich die Augen. »Willst du einen Kaffee?«
»Nein danke.«
Er zog das Foto von Christina Marsh aus der Tasche und starrte es an. »Endlich ein Name.« Er schaltete seinen Computer ein und ließ ihren Namen durch den NCIC und die lokalen Datenbanken laufen. Kein Treffer. Nicht mal ein Führerschein, und unter ihrer Sozialversicherungsnummer fand sich kein Beschäftigungsnachweis.
»Sie ist ein Phantom«, sagte er.
»Wenn sie freiberuflich in einer Branche arbeitete, in der bar gezahlt wird«, sagte ich. »Dann müssten keine Personalunterlagen geführt werden.«
»Eine Prostituierte, wie du vermutet hast. Wo ist sie dann Angie begegnet?«
»Bei der Arbeit in einem Club, der keine Bücher führt. Oder Angie hat auch als Nutte gearbeitet. Die Jungs von der Sitte kannten Christi nicht, weil sie neu in der Stadt war und man sie noch nicht aufgegriffen hatte.«
»Minnesota«, sagte er. »Ich werde dort in ein paar Stunden anrufen. Ich muss jede Menge Anrufe machen. Bist du sicher, dass du keinen Kaffee willst? Ich werde mir welchen machen.«
»Willst du dich nicht ein bisschen hinlegen?«
»Ich hab’s mir abgewöhnt.« Er kam mühsam auf die Beine, schlurfte aus dem Zimmer und kehrte mit einem Styroporbecher zurück. Ließ sich in seinen Sessel fallen, trank einen Schluck und rieb sich erneut die Augen.
»Wann hast du zuletzt geschlafen?«, fragte ich. »Ich erinnere mich nicht. Was ist los, kannst du nicht mehr?«
»Ich halte noch eine Weile durch.«
Er setzte den Becher ab. »Es sieht so aus, als liefen zwei Dinge parallel zueinander, der Fall Jerry Quick und der Fall Albin Larsen/Sonny Koppel. Ich habe Schwierigkeiten, sie zusammenzubringen. Fangen wir mit Jerry an: zwielichtiger Typ, in sexueller Hinsicht unmöglich, benutzt im Voraus bezahlte Mobiltelefone, ist viel auf Reisen, angeblich, um mit Metall zu handeln, aber ohne viel Geld damit zu verdienen. Zahlt seine Miete nicht pünktlich, ist hinter Weibern her und gibt sich keine Mühe, es vor seiner Frau zu verbergen. Wenn er in der Stadt ist, lässt er seine Frau abends allein, um sich seiner Lieblingsstripperin zu widmen. Schließlich stellt er sie als seine vorgebliche Sekretärin ein, obwohl ihre Fingernägel zum Tippen deutlich zu lang sind. Savarin hatte wahrscheinlich Recht: Jerry hielt sich Angie als Geliebte und setzte sie in sein Büro, damit es nicht groß auffiel. Auf diese Weise wäre sie in der Nähe, falls er Lust auf ein bisschen Schreibtisch-Aerobic verspürte. Jetzt ist er verschwunden, und Angie ebenso.«
»Die beiden verstecken sich gemeinsam«, sagte ich.
»Die Frage ist: Wovor verstecken sie sich?«
»Alles bricht zusammen, das Schwindelunternehmen hat eine schlimme Wendung genommen. Jerry und Angie wissen, warum Gavin ermordet wurde. Sie wissen, dass sie als Nächste an der Reihe sein könnten.«
Er dachte darüber nach. »Ich kann immer noch nicht erkennen, welche Rolle Quick bei dem Schwindelunternehmen
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