Im Sog der Angst
nahm, blieb von der Behandlung nicht viel übrig.
Mary Lou Koppels Ansatz reduzierte sich darauf, was im Gewerbe als »unterstützende Therapie« bekannt ist. Das ist nicht notwendigerweise schlecht; manchmal braucht ein Patient nicht mehr als jemanden, der Ja sagt, oder eine Schulter zum Ausweinen. Aber manchmal ist »unterstützend« zu sein ein Vorwand dafür, nicht mehr zu tun.
»Du meinst, sie hat sich keine Mühe gegeben?«, fragte Milo.
»Vielleicht hat sie ihr Bestes gegeben. Sie hat mit Gavin in diesem Sprechzimmer gesessen, nicht ich.«
»Sehr ritterlich. Aber du magst sie immer noch nicht.«
»Ich habe nichts gegen sie«, erwiderte ich.
»Dann muss ich was falsch verstanden haben. Hast du sie darauf angesprochen, warum sie beim ersten Mal gemauert hat?«
»Sie hat sofort damit angefangen. Sie hat gesagt, die Patientin habe mich nicht leiden können und mir nicht vertraut und ihr verboten, mir irgendetwas zu sagen.«
»Hat sie dir einen Tritt verpasst, mein Freund?«
»Die Patientin hat aus ethischen Gründen Beschwerde gegen mich eingelegt.«
»Autsch«, sagte er.
»Die Beschwerde wurde abgewiesen.«
»Natürlich wurde sie das«, sagte er. »Was war sie, eine verärgerte Spinnerin?«
»Etwas in der Art.«
»Arschlöcher.«
Unterstützende Therapie.
»Jedenfalls ist das so weit alles zu Gavins emotionaler Verfassung«, sagte ich.
»Nicht so schlau, wie er mal war, und zwanghaft.«
»Das wussten wir schon vorher.«
»Es ist trotzdem interessant.«
»Irgendwas Neues zur Identität des Mädchens?«
»Nichts. Auch was das Beweismaterial angeht, sieht es dünn aus. Gavins Fingerabdrücke sind am Lenkrad aufgetaucht, aber nichts auf irgendeinem Türgriff, nicht seine, nicht die des Mädchens. Jemand hat alles sorgfältig abgewischt. Das spricht für einen gut organisierten Kopf, stimmt’s? Was zu der Theorie des Mörders passt, der sich an seine Opfer heranpirscht. Viele Reifenspuren auf der Zufahrt. Leider ein regelrechter Wirrwarr mit zu viel Überschneidungen, weshalb die Jungs von der Spurensicherung keinen guten Abdruck nehmen konnten. Was nicht anders zu erwarten war, wenn die Makler dort aus und ein gehen. Keiner der Nachbarn hat etwas gehört oder gesehen, keine Berichte über verdächtige Gestalten oder unbekannte Autos. Ich hab die Kollegen von den Sexualverbrechen gebeten, in ihren Unterlagen nachzusehen, ob in letzter Zeit irgendwelche unheimlichen Voyeure auf Bewährung entlassen worden sind.«
»Neue Informationen über die Reihenfolge der Morde?«
»Der Gerichtsmediziner stimmt deiner Theorie zu, wonach Gavin als Erster erschossen wurde, aber er kann das nicht ins Protokoll aufnehmen, weil es keine Anhaltspunkte gibt, die das eindeutig belegen. Die Blutspritzer besagen, dass sowohl Gavin als auch das Mädchen saßen, als sie erschossen wurden, und das ganze Blut auf der Brust des Mädchens, während so gut wie nichts im Umkreis der Kopfwunde war, besagt, dass sie am Leben war, als dieser Eisenstock in sie hineingerammt wurde. Ich bin in der Gegend rumgefahren und habe nach Baustellen Ausschau gehalten, um zu sehen, ob nicht irgendwo ein Stück Schmiedeeisen fehlt, aber nada . Ich gewinne langsam den Eindruck, dass es sich um einen Überraschungsangriff gehandelt hat. Ergibt das einen Sinn für dich?«
»Perfekten Sinn«, erwiderte ich. »Der Bösewicht folgt ihnen, beobachtet, stellt seinen Wagen vermutlich draußen auf dem Mulholland ab und betritt das Grundstück zu Fuß. Er wartet ab, sieht zu, wie sie rummachen, wird erregt. Falls das Kondom Gavin gehörte, standen die beiden kurz davor, den Geschlechtsakt zu vollziehen. In diesem Moment tritt der Bösewicht aus dem Dunkeln hervor, und bumm.«
»Das Überraschungselement. Es befand sich kein Sperma in oder an ihr, und obwohl sie oben ohne war, hatte sie die Leggings noch an, was zu deiner Darstellung passt.«
»Irgendwelche Erkenntnisse aus der Obduktion?«
»Ihre letzte Mahlzeit war ein halber Big Mac plus ein paar Pommes und Ketchup. Geschätzter Zeitpunkt: sechs Stunden vor ihrem Tod. Gavins Mageninhalt waren Nudeln mit Basilikum und Knoblauchbrot. Mrs. Quick bestätigt, dass sie das zum Abendessen gemacht hat. Sie und Gavin haben fünf Stunden vor dem Mord zusammen zu Abend gegessen. Dann hat er einige Zeit auf seinem Zimmer verbracht, und sie ist in ihr Zimmer gegangen und hat ferngesehen.«
»Keine Verabredung zum Abendessen«, sagte ich. »Gavin und das Mädchen haben getrennt gegessen und sich anschließend
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