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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Gull?«
    »Ich würde es nicht Probleme nennen«, antwortete sie. »Damals - nicht lange nach dem Unfall - war Gavin äußerst reizbar. Im Grunde nichts Ungewöhnliches. Sie wissen, wie es mit Psychotherapeuten und Patienten gehen kann. Manchmal passt man zusammen, manchmal nicht. Und Franco hatte bereits mehr als genug Patienten.« Die schwarzen Augen fanden meine. »Wie bei Ihnen und Teresa Wetmore. Ich bin sicher, die meisten Ihrer Patienten bewundern Sie und vertrauen Ihnen. Aber andere … Arbeiten Sie ausschließlich für die Polizei, oder haben Sie auch noch Privatpatienten?«
    »Ich mache kurzfristige private Konsultationen.«
    »Keine Therapie?«
    »Normalerweise nicht.«
    »Eine Privatpraxis kann wirklich hart sein«, sagte sie. »Die Krankenversicherungen mit ihrem Schwachsinn, das Tröpfeln der Überweisungen, wenn das Geld knapp wird. Ich vermute, wenn man für die Polizei arbeitet, trägt das dazu bei, ein festes Einkommen zu garantieren.«
    »Ich bin nicht bei der Polizei angestellt. Ich mache auch für sie kurzfristige Beratungen.«
    »Aha …« Sie lächelte. »Jedenfalls wurde Gavin mein Patient, und ich hatte den Eindruck, wir machten Fortschritte.« Sie stellte die Beine wieder nebeneinander und rückte in ihrem Sessel nach vorn. »Alex, meiner Meinung nach kann ich Ihnen nichts sagen, was die polizeilichen Ermittlungen vorantreiben könnte.«
    »Was ist mit Gavins zwanghaftem Verhalten?«, fragte ich.
    »Ich würde es nicht so nennen. Nichts, was einer ausgewachsenen zwanghaften Verhaltensstörung gleichkäme. Gavin konnte ein bisschen hartnäckig sein, das war alles.«
    »Sich eine Idee in den Kopf setzen und sie nicht mehr loslassen?«
    Sie lächelte. »In Ihrem Mund klingt es pathologischer, als es war. Er konnte ein bisschen … enthusiastisch sein.«
    »Seine Eltern sagten, er hätte sein Berufsziel gewechselt. Von Betriebswirtschaft zu Journalismus.«
    Das schien sie zu überraschen, und ich fragte mich, wie gut sie ihren Patienten gekannt hatte.
    »Leute ändern ihre Meinung«, sagte sie. »Besonders junge Leute. Manchmal bringen tragische Ereignisse Menschen dazu, sich auf das zu konzentrieren, was sie wirklich wollen.«
    »Ist das bei Gavin geschehen?«
    Ein unverbindliches Nicken.
    »Hatte er die Absicht, zurück ans College zu gehen?«
    »Es war nicht leicht für ihn, motiviert zu bleiben, Alex. Eins meiner Ziele bestand darin, seinem Leben wieder einen Sinn zu verleihen. Aber das ging nur ganz allmählich. Gavin kämpfte immer noch mit den Veränderungen.«
    »Also ist er kognitiv langsamer geworden?«
    »Ja, aber das war nicht augenfällig. Und, wie ich glaube, verschärft durch emotionalen Stress. Ich bin neugierig, Alex. Warum sind Sie so an seiner Persönlichkeit interessiert?«
    »Ich bin an seinem zwanghaften Verhalten interessiert, weil die Polizei sich fragt, ob ihn das in Schwierigkeiten gebracht haben könnte.«
    »Inwiefern?«
    »Indem er die falsche Person gegen sich aufbrachte.«
    »Die falsche Person?«
    »Jemanden, der gewalttätig reagiert.«
    Sie legte einen Finger an die Lippen. »Das würde mich überraschen - wenn Gavin mit gewalttätigen Leuten verkehrt hätte. Er war ein netter Junge, ein konventioneller Junge. Er hat mit Sicherheit nie etwas Derartiges mir gegenüber erwähnt.«
    »War er ziemlich mitteilsam?«
    Die schwarzen Augen wandten sich zur Decke. »Wie soll ich es formulieren … Wie viele junge Männer hatte Gavin nicht viel für Selbstbeobachtung übrig.«
    »Worüber hat er geredet?«
    »Ich habe ihn dazu zu bringen versucht, dass er über seine Gefühle sprach. Über die Wut, sich anders zu fühlen. Über die Schuldgefühle, den Unfall überlebt zu haben. Zwei seiner Freunde wurden getötet, wissen Sie.«
    Ich nickte.
    »Ich hatte den Eindruck«, sagte sie, »Gavin wusste, dass er etwas verloren hatte - einen gewissen Biss, eine Schärfe -, aber er hatte Schwierigkeiten, das zum Ausdruck zu bringen. Ich nehme an, das könnte aphasisch gewesen sein. Oder nur ein postpubertärer Mangel verbaler Fähigkeiten. Jedenfalls wusste ich, dass er mit seinen Gefühlen kämpfte. Ich konnte ihn nicht zu hart anfassen, Alex. Einmal jedoch hat er sich auf eine Weise ausgedrückt, die ich für äußerst eloquent hielt. Das ist nur ein paar Wochen her. Er wirkte niedergeschlagen, als er zur Sitzung kam. Ich schwieg länger als er, und schließlich schlug er auf die Lehne des Sofas - dieses Sofa dort - und rief: ›Das ist Scheiße, Dr. K! Für alle anderen sehe ich

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