Im Sog der Gefahr
wusste, dass er das genauso sehen würde. Aber das war nun mal ihr Job.
»Was ist mit der Mutter?«, fragte Furlong.
»Finn – Carver – sagte, sie sei abgehauen, als er noch ein Kleinkind war. Ich versuche sie gerade aufzuspüren.«
»Und jetzt finden diese beiden Männer, die anscheinend ständig von Opfern umgeben sind, plötzlich wieder eines?« Ihr Chef wirkte nicht überzeugt.
»Es gibt noch mehr.« Darüber zu sprechen, war ein wenig merkwürdig. Sie hatte sich mit einem Verdächtigen auf eine persönliche Ebene begeben, auch wenn sie keine Grenzen überschritten hatte, ja nicht einmal in die Nähe dieser Grenzen gekommen war. Na ja, bis auf diesen Kuss, der sie völlig unvorbereitet getroffen und sie fast vom Barhocker gehauen hatte. Aber vor Schreck und nicht etwa, weil es ihr gefallen hatte. »Carver ist mit achtzehn zur Army gegangen und war sechs Jahre bei den JTF 2.« Der Spezialeinheit des kanadischen Militärs. »Vor ein paar Jahren ist er überraschend ausgeschieden. Einen Grund hat er nicht angegeben, aber es war etwa zu der Zeit, als Thomas Edgefield einem Polizeibericht zufolge im Krankenhaus lag und fast gestorben wäre. Er war übel zusammengeschlagen worden und hat dabei eine Niere verloren. Der Täter wurde nie gefasst.« Was sie am Vorabend in der Bar gesehen und gehört hatte, erwähnte sie nicht, weil sie nicht einräumen wollte, dass sie allein und ohne die vorgeschriebene Verstärkung dorthin gegangen war.
Furlong sah auf seine riesige Uhr. »Ich werde sie mal unter die Lupe nehmen, bevor ich abreise.« Er sah richtig aufgeregt aus, wie ein Kind, dem man Süßigkeiten versprochen hatte.
Holly stand auf. Um Finn machte sie sich keine Sorgen, aber wenn Furlong Edgefield falsch anpackte, konnten sie jeden Funken Kooperation von seiner Seite vergessen. Der Mann würde in der Irrenanstalt enden.
»Sie bleiben hier, Rudd. Ich nehme Corporal Messenger mit, damit sie Praxiserfahrung sammeln kann.«
»Corporal Messenger kann sehr gern mitkommen, Sir, aber als leitende Ermittlerin bestehe ich darauf, ebenfalls dabei zu sein.«
Eine Weile herrschte Stille.
Jimmy Furlong stand in dem Ruf, sich nichts sagen zu lassen, aber Mordermittlungen wurden aus gutem Grund von einem Team durchgeführt – um einen Tunnelblick zu vermeiden und sicherzugehen, dass Informationen ordnungsgemäß weitergeleitet wurden. Nach einem langen Augenblick nickte er, und sie musste sich die Frage stellen, ob er das nur wegen ihres Vaters tat oder weil es die richtige Entscheidung war.
Aber die Hauptsache war, dass sie auf dem Laufenden blieb.
Sie gingen hinunter zur Anlegestelle, wo Furlong das örtliche Wassertaxi anwies, sie auf die andere Seite des Meeresarms zu bringen. »Wer zum Teufel baut einen Ort, der mittendrin vom Meer geteilt wird, ohne jede Brücke oder Straße?«, beschwerte er sich.
Der Mann am Steuer des Taxis sagte nichts. Holly war aufgefallen, dass die Einheimischen immer schweigsamer wurden. Vielleicht hatte jeder, der hier lebte, ein Geheimnis. Wenn sie so verschlossen blieben, konnte das die Ermittlungen erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Es sei denn, sie konnte jemandem ein Geständnis entlocken.
Auf der anderen Seite eilte Furlong mit Messenger im Schlepptau von Bord, während Holly für die Fahrt bezahlte. »Danke.« Sie lächelte.
Als sie den Blick hob, sah sie Finn Carver im Eingang zur Tauchbasis lehnen. Er trug einen Trockentauchanzug, den er bis zur Taille heruntergestreift hatte, und beobachtete sie scharf. Beim Anblick seiner muskulösen Brust regte sich etwas in Holly, auf das sie nicht gefasst war. Etwas an ihm zog sie unwiderstehlich an, und das war nicht nur sein gutes Aussehen, sondern auch die Art, wie er sich gab. Sie war nicht der Typ, der die Vorschriften brach. Dass er für sie tabu war, hätte ausreichen müssen, um die leise erwachende Sehnsucht in ihr zu ersticken, doch stattdessen wurde sie immer lauter. Schon ihr letzter Fehler verfolgte sie in ihrer Karriere, einen weiteren konnte sie sich nicht leisten. Im Laufschritt eilte sie den steilen Kiesweg hinauf, um Furlong einzuholen, der an der Eingangstür zum Meeresinstitut rüttelte. Sie war verschlossen.
»Zu Edgefields Haus geht es hier entlang.« Sie zeigte auf einen Pfad, der am Institut vorbeiführte.
Furlong war sauer, gab sich jedoch große Mühe, es nicht zu zeigen. Mit großen Schritten lief er los, sodass Messenger in Trab fallen musste, um mitzuhalten. Holly presste die Lippen fest
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