Im Sog der Gefahr
bewahrte ihre ausdruckslose Miene und hielt den Rücken kerzengerade.
»Carver arbeitet mit den Bullen zusammen?« Das Leuchten in seinen Augen nahm einen brutalen Zug an. »Dreckskerl.«
Auch wenn sie Finn nicht in diese Sache hineinziehen wollte, konnte sie im Augenblick nicht viel tun, um es zu verhindern. Sie würde ihn warnen müssen, die Augen offen zu halten.
Obwohl Hammond schwieg, wusste Holly, dass er alles genau verfolgte. »Ich bin Sergeant Holly Rudd, RCMP , und das ist Sergeant Hammond. Wir haben einige Fragen zu Len Milbank.«
»Sie haben Len gefunden?«, fragte der zweite Mann. Auch er schien nervös zu sein. Als stünde er in den Startlöchern, um abzuhauen. Hier konnte es sehr schnell ausgesprochen interessant werden.
Sie nahm ihren Spiralblock aus der Tasche. »Wie heißen Sie?«
Er starrte seinen Chef an, das Kinn gesenkt. »Gordon Ferdinand. Die meisten nennen mich Gordy.«
Holly fiel auf, dass der Mann zwei Diamantohrstecker trug. »Wann haben Sie Len Milbank zuletzt gesehen, Mr Dryzek?«
Remy kratzte sich am Kopf. »Vor etwa einer Woche.«
»Könnten Sie etwas genauer werden?«
Dryzek schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Ich weiß es nicht mehr.«
Holly beugte sich vor. »Wo haben Sie ihn gesehen?«
»Unten im Club.« Dryzek leckte sich über die Lippen. »Warum ist das wichtig?«
»Gestern Abend in der Bar haben Sie zu Finn Carver gesagt, Sie hätten etwas verloren. Was war das?«
»Ermitteln Sie undercover, oder was?« Er musterte sie von oben bis unten, wirkte nicht überzeugt, und verschränkte dann die Arme vor der Brust, während er über seine Antwort nachzudenken schien. »Ich habe Len gesucht«, sagte er schließlich.
»Warum?«, hakte Holly nach.
»Ich habe mir Sorgen um ihn gemacht. Er neigt dazu, sich in Schwierigkeiten zu bringen, wenn ich nicht auf ihn aufpasse.« Dryzek stemmte sich von seinem Stuhl hoch. »Das waren jetzt genug Fragen. Wo wird Len festgehalten? Hat er schon seinen Anwalt angerufen?«
Es war klar, dass Dryzek befürchtete, Len könnte irgendetwas ausplaudern. Was für eine verfluchte Schande, dass er überhaupt nicht mehr plaudern konnte.
»Len Milbank ist tot, Mr Dryzek.«
»Ach du …« Seine Augen weiteten sich, und er sank zurück in seinen Stuhl. »Scheiße!«
»Carver«, sagte Ferdinand scharf.
Holly runzelte die Stirn.
»Wann ist er gestorben? Wo haben Sie ihn gefunden?«, wollte Dryzek wissen.
Sie zögerte. »Was den Todeszeitpunkt angeht, haben wir noch keine Gewissheit – deshalb müssen wir seine letzten Schritte nachverfolgen.«
Dryzeks Blick zuckte hastig über seinen Schreibtisch und blieb schließlich an seinen geballten Fäusten hängen, die vor ihm auf der Tischplatte lagen. »Ich will alles wissen, was die Polizei herausfindet.« Seine Stimme war leise und wütend. Jetzt verstellte er sich nicht mehr.
»Sie haben ›Carver‹ gesagt«, wandte sich Holly an Gordy Ferdinand. »Warum?«
Doch die beiden Männer starrten sich nur an, sahen einander fest in die Augen, und Holly wusste zweierlei. Erstens: Sie hatten bis gerade nichts von Lens Tod gewusst. Und zweitens: Sie würden kein Wort mehr sagen.
»Wenn Sie irgendetwas wissen, müssen Sie es der Polizei mitteilen. Behinderung einer Mordermittlung ist eine Straftat.«
Dryzek ballte die Fäuste noch fester, sagte aber nichts.
Sie wechselte einen Blick mit Hammond. Als der die Schultern zuckte, zog Holly eine Visitenkarte hervor und schob sie dem Verbrecherboss über den Tisch. »Wenn Sie noch irgendwelche Informationen haben …«
Er hob den Blick und sah ihr in die Augen, aber jede Spur des herzlichen Gastgebers war verschwunden. »Len hatte keine Angehörigen. Halten Sie mich auf dem Laufenden und geben mir Bescheid, wenn ich seine Leiche abholen lassen kann, um sie zu beerdigen? Und seine persönlichen Sachen?«
»Zuerst müssen wir überprüfen, dass er keine Familie mehr hat, anschließend melden wir uns bei Ihnen.«
Gordy Ferdinand stand auf.
»Haben Sie gestern Abend Len Milbanks Haus durchsucht?«, fragte Holly.
»Nein.« Ein Nicken strafte seine Worte Lügen. »Aber wir haben oft dort rumgehangen.« Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass seine Fingerabdrücke und Spuren gefunden wurden.
»Ja klar, ich kann mir denken, warum.« Holly sah sich in dem großzügigen Raum um. Diamanthelle Fenster, Blick aufs Wasser, makellose Teppiche und kostspielige Möblierung. Warum sollten sie ihre Videos nicht in Lens gutem altem, vergammeltem Loch anschauen?
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