Im Sog der Sinnlichkeit
fortgelaufen war, weil sie keine Lust hatte, für wenig Geld einer geregelten Arbeit nachzugehen, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie nicht wiederkommen würde.
„Du musst ins Bett, Kind.“
„Sie aber auch, Mylady.“
Melisande musste schmunzeln. Ausnahmsweise hatte Betsey die richtige Anrede getroffen. „Ich sage dir etwas: Wir legen uns beide in unsere Betten. Und ich schreibe Mrs Cadbury einen Zettel, dass du heute lange schlafen darfst. Und wenn wir ausgeschlafen haben, sind wir wieder frisch und munter und fühlen uns viel besser. Wie gefällt dir die Idee?“
Betsey machte ein zweifelndes Gesicht. „Ich glaube nicht, dass ich mich besser fühle, wenn Aileen nicht bald kommt. Ich weiß doch nicht, was ich ohne sie tun soll.“ Unwillkürlich musste sie gähnen, und Melisande wurde warm ums Herz.
„Du kannst hierbleiben, so lange du willst“, sagte sie, und nach einer kleinen Pause: „Und wenn Aileen nicht mehr kommt, hast du zwanzig Mädchen, die deine älteren Schwestern sind.“
„Nicht die Köchin“, erklärte Betsey altklug. „Sie sagt, ich stehe ihr nur im Weg rum. Wie meine Mama früher. Aber sie hat auch gesagt, ich bin vielleicht keine totale Katastrophe in der Küche.“
Diesmal lächelte Melisande. „Das ist doch eine gute Nachricht. Wenn du kochen kannst, findest du überall Arbeit.“
„Violet sagt, arbeiten ist schwerer als auf dem Rücken liegen. Aber das glaube ich ihr nicht.“
„Das solltest du auch nicht. Wenn dir nicht nach Schlafen zumute ist, kannst du ja in die Küche gehen. Mollie ist bestimmt schon auf und fängt mit dem Brotbacken an. Sie kann deine Hilfe sicher gebrauchen.“
„Ja, Miss.“ Mylady war schon wieder vergessen, aber Melisande nickte nur. Wenn Mollie Biscuits die kleine Betsey unter ihre Fittiche nahm, war das Kind in mütterlichen Händen und würde eine gute Ausbildung erhalten. Eine verlorene Seele weniger, um die sie sich Sorgen machen musste.
Melisande wartete, bis Betsey sich getrollt hatte, bevor sie mühsam auf die Füße kam. Sie brauchte dringend ihr Bett. Sie brauchte ein Bad, um seinen Geruch, seine Berührungen wegzuwaschen. Es war höchste Zeit, dieses kurze Kapitel in ihrem Leben zu beenden. Es blieb ihr keine andere Wahl, sie musste seinen Worten glauben. Er würde den Umtrieben des Satanischen Bundes ein Ende setzen.
Und sie musste wieder Ordnung in ihrem Leben schaffen. Die sündhafte Versuchung, die Rohan darstellte, gehörte der Vergangenheit an. Vor ihr lag eine bessere Zukunft. Sie musste nur die nächsten vierundzwanzig Stunden durchstehen, und dann wäre alles wieder gut.
Sie drehte den Schlüssel in ihrer Schlafzimmertür. Sie weinte, während sie sich wusch, weinte, als sie ihre Kleider in den Waschkorb warf. Weinte, als sie ein frisches Nachthemd anzog und in ihr schmales Bett kroch. Erst als sie die brennenden Augen schloss, kam die Erinnerung, wie er mit ihr auf diesem Bett gelegen hatte, sie spürte wieder sein Gewicht auf ihr, sah, wie er die Kerze mit zwei Fingern löschte und Dunkelheit sie beide einhüllte.
Und dann versiegte endlich ihr törichter Tränenfluss, aber der Schmerz in ihrem Herzen, in ihrer Seele wog bleischwer. Sie rollte sich auf den Bauch, vergrub das Gesicht im Daunenkissen und fragte sich, ob ein Mensch in der Lage wäre, sich selbst zu ersticken.
Unsinn! Es hatte keine Bedeutung. Es war vorbei! Es war Zeit, nach vorne zu blicken.
Auf dem Nachttisch stand immer noch das Fläschchen Laudanum. Diesmal zögerte sie nicht. Sie nahm einen Schluck und schloss die Augen, wartete auf das Vergessen und darauf, dass der pochende Schmerz in ihrem Knöchel nachließ.
Es dauerte viel zu lange. In der Ferne konnte sie Emmas Stimme hören, die einen Namen rief, aber nicht ihren. Es war unwichtig. Emma sollte warten. Nur diesen einen Tag wollte sie sich um nichts kümmern, nur um sich selbst.
Nur diesen einen einzigen Tag.
27. KAPITEL
B enedick war ein trinkfester Mann. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er auch nach einer halben Flasche Brandy noch ein intelligentes Gespräch führen und sicheren Schrittes nach Hause gehen konnte. Diese Trinkfestigkeit, ohne sich etwas anmerken zu lassen, war für einen Gentleman beinahe wichtiger als Spielschulden zu begleichen. Sein Vater, ein geläuterter Lebemann und ehemaliger Bruder Leichtfuß, hatte dem Siebzehnjährigen diese unentbehrlichen gesellschaftlichen Umgangsformen beigebracht, sehr zum Missfallen seiner Mutter. Charlotte Rohan war eine
Weitere Kostenlose Bücher