Im Sog der Sinnlichkeit
vorher.
5. KAPITEL
B randon Rohan stützte sich schwer auf seine Krücke auf dem Weg durch die schmalen Gänge der Kalksteinhöhlen, von denen die Landschaft um Kersley Hall in Kent durchzogen war. Er trug eine Mönchskutte, eine Verkleidung, die er ziemlich lächerlich fand. Jeder würde ihn an seinem hinkenden Gang erkennen, auch wenn sein Gesicht unter einer Kapuze verborgen war. Aber der Großmeister hatte angeordnet, niemand dürfe bei den Zusammenkünften sein Gesicht zeigen, also musste er sich fügen, und im Grunde war er damit einverstanden. Die Versammlungen des Satanischen Bundes fanden geheim und bei Dunkelheit statt. Und er hatte keineswegs den Wunsch, irgendwann im Haus seiner Mutter einem der Beteiligten zu begegnen, was bei der Namensliste berühmter Mitglieder der Geheimloge nicht auszuschließen war.
Nein, Diskretion war angebracht. Er kannte nicht einmal den Namen des Vorsitzenden, auch andere, die er danach gefragt hatte, konnten ihm keine Auskunft geben. Das war auch unwichtig. Der Großmeister war einer von ihnen, mehr brauchte er nicht zu wissen. Er bestimmte die Regeln, legte Ort und Datum der Veranstaltungen fest, und unter seiner Leitung war die Zahl der Mitglieder angestiegen.
Man traf sich in Kent, seit Brandon wieder einigermaßen auf den Beinen war. Ein Großteil von Kersley Hall war im letzten Winter von einer Feuersbrunst zerstört und von seinem mittellosen Besitzer dem Verfall überlassen worden. Nur die Außenmauern waren erhalten geblieben. Die Kellergewölbe und die Kalksteinhöhlen unter dem Gemäuer eigneten sich vorzüglich für die Zusammenkünfte. Es gab eine Vielzahl von Kammern in dem Gewirr unterirdischer Gänge, in denen die Gäste treiben konnten, wonach ihnen der Sinn stand.
Und kein noch so durchdringender Schrei drang je nach oben.
Brandon verdrängte rasch einen Anflug von Zweifel. Er hatte kein Interesse an unwilligen Gespielinnen wie manch andere. Er zog Frauen vor, die sich nicht zur Wehr setzten. Im Krieg hatte er genug Vergewaltigungen an hilflosen Frauen sehen müssen.
Aber daran wollte er nicht denken. Wenn andere Spaß daran hatten, dass ihre Huren die Gewaltopfer spielten – wer war er, um ein Urteil zu fällen? Die Huren wurden fürstlich dafür bezahlt, und wenn eine sich tatsächlich ernsthaft zur Wehr setzte, ging es ihn nichts an. Sie wussten schließlich, worauf sie sich einließen. „Tut, was euch gefällt“, so lautete das Motto des Geheimbunds. Und kein Mitglied wagte ein Urteil über ein anderes.
Er fragte sich, was Benedick davon halten würde. Auch ihr Vater war in seiner Jugend Mitglied der Loge gewesen und vor ihm sein Vater. Vermutlich würde Benedick sein Missfallen äußern, aber Brandon folgte lediglich den Fußstapfen seiner Familie. Wenn sein strenger Bruder Einwände hatte, sollte er sich in Somerset vergraben.
Aus der Ferne drang gedämpftes Stimmengewirr zu ihm herüber. Man hatte also bereits mit den albernen Anrufungen des Satans begonnen. Brandon glaubte weder an den Teufel noch an die Hölle. In Afghanistan hatte er die Hölle auf Erden erlebt.
Die Schmerzen in seinem zerschossenen Bein wurden unerträglich. Er brauchte dringend Opium, um sich zu betäuben. Am Ende des schmalen Gangs würde er Erleichterung finden.
Er hörte den gellenden Schrei einer Frau und verharrte eine Sekunde. Der Schrei verstummte. Sie werden gut dafür bezahlt, rief er sich ungerührt ins Gedächtnis.
Und humpelte mühsam weiter, der schwach beleuchteten Höhle entgegen.
Benedick hätte die lästige Lady Carstairs völlig vergessen, wäre er ihr nicht zufällig im St. James’s Park begegnet inmitten ihrer Schar gefallener Mädchen. Vermutlich hätte er sie gar nicht bemerkt, wenn er nicht dem entrüsteten Blick seiner zukünftigen Verlobten, der überaus sittsamen Miss Pennington, gefolgt wäre.
„Diese unverschämte Person!“, sagte sie schneidend. „Wie kann sie es wagen, sich mit diesem … diesem Abschaum in einem Park zu zeigen, in dem sich die vornehme Welt ergeht? Hat sie denn keinerlei Anstand? Offenbar weiß sie nicht, was sich gehört. Jemand sollte sie in ihre Schranken weisen.“
Er blickte teilnahmslos zu der Frauengruppe hinüber. Lady Carstairs war genauso züchtig und langweilig gekleidet wie bei seiner ersten Begegnung mit ihr: völlig unmoderner schwarzer Wollstoff, dazu diese grässliche Schute, die ihr Gesicht zur Hälfte verbarg. Die Frauen in ihrer Begleitung sahen eher aus wie eine Schar später Schulmädchen,
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