Im Sog der Sinnlichkeit
sie ihm in jeder Beziehung war. „Sie reiten ganz passabel“, antwortete er gedehnt und bedachte sie mit einem überheblichen Blick. „Ich fürchte, ich weiß zu wenig über Ihre Vergangenheit, abgesehen von der Tatsache, dass Sie mit Sir Thomas Carstairs verheiratet waren. Sie kommen aus einer alten Familie in Lincolnshire, wenn ich nicht irre.“
„Wenn Sie wissen wollen, ob meine Eltern wohlhabend genug waren, um ihrem einzigen Kind ein Pferd zu schenken, so lautet meine Antwort Nein. Mein Vater war ein Baron und dem Glücksspiel verfallen, und meine Mutter war vollauf damit beschäftigt, sich ihrer stets kränkelnden Befindlichkeit zu widmen. Beide Eltern hatten weder das Interesse noch die nötigen Geldmittel, um es an ihre unscheinbare Tochter zu verschwenden. Ich habe erst während meiner Ehe reiten gelernt.“
Er überhörte ihren Hinweis auf die unscheinbare Tochter, damit fischte sie wohl nur nach einem Kompliment, wozu er nicht die geringste Lust verspürte. „Wenn Ihre Eltern so arm und lieblos waren, wie kommt es, dass sie Ihnen eine Ballsaison in London ermöglichten? Oder wollte man Sie möglichst schnell unter die Haube bringen und loswerden?“
Sie bedachte ihn mit einem gefährlichen Lächeln. „Beide starben. Mein Vater stürzte betrunken vom Pferd, und meine Mutter starb am Fieber. Meine Tante bot mir die Chance einer Saison und danach … Ich habe keine Ahnung, was aus mir geworden wäre, hätte Sir Thomas nicht um meine Hand angehalten. Vermutlich wäre ich irgendwo Gouvernante.“
„Die kleine Kinder tyrannisiert“, murmelte er. „War Ihre Ehe glücklich?“
Sie nahm die Zügel kürzer und ließ die Stute im Schritt gehen. „Und welche Ihrer Ehen war glücklicher? Oder haben beide Ehefrauen Ihre Fleischeslust gleichermaßen befriedigt?“
„Warum interessieren Sie sich für meine Fleischeslust?“
Eine rosiger Hauch überflog ihre Wangen. Irgendwie reizvoll, dachte er zerstreut, dieser Kontrast zu ihren blauen Augen. „Tu ich nicht. Ich wollte Sie damit lediglich darauf aufmerksam machen, dass Ihre Fragen unhöflich und plump vertraulich sind.“
„Ich war noch nie von ausgesuchter Höflichkeit“, antwortete er wahrheitsgetreu. „Meine erste Frau Annis war die Liebe meines Lebens. Willensstark und leidenschaftlich. Wenn sie nicht im Kindsbett gestorben wäre, wären wir vermutlich immer noch ein glückliches Paar. Auch meine zweite Frau, Lady Barbara, starb im Kindsbett, wobei ich in ihrem Fall meine Zweifel habe, ob es sich um mein Kind gehandelt hat. Sie war flatterhaft und unersättlich und stillte ihre Begierden hemmungslos mit jedem Mann, der ihr gefiel. Ich würde es vorziehen, mir nicht ein drittes Mal die Fesseln einer Ehe anlegen zu lassen – ein bedrückender Zustand. Aber ich fürchte, irgendwann brauche ich einen Erben. Deshalb halte ich zur Abwechslung Ausschau nach einer fügsamen jungen Frau, die nur daran interessiert ist, meine Wünsche zu erfüllen.“
Melisande gab einen verächtlichen, wenig damenhaften Laut von sich. „Sie werden mit Sicherheit die Richtige finden, Mylord. Es ist nur zu hoffen, dass Sie Ihrer Wahl nicht überdrüssig werden. Fügsamkeit kann auf Dauer eintönig werden.“
„Eigentlich verwunderlich, dass dieses Wort sich in Ihrem Sprachschatz befindet, denn Fügsamkeit dürfte ein Fremdwort für Sie sein. Was die Eintönigkeit betrifft, so werde ich natürlich anderweitig entsprechende Zerstreuung finden.“
Er glaubte fast ihr Zähneknirschen zu hören, und seine Stimmung hellte sich auf. Merkwürdig, wie unterhaltsam es war, seine unerwünschte Verbündete zu erzürnen.
„Nichts Ungewöhnliches. Die meisten Männer haben Mätressen. Das bedeutet allerdings, dass Sie auf der Suche nach zwei Frauen sind, und das könnte bei Ihren hohen Ansprüchen schwierig werden. Zumal ich einige Anwärterinnen für die zweite Position aus dem Verkehr gezogen habe.“
„Die für Sie enttäuschende Wahrheit über Huren, Kokotten und Halbweltdamen besteht darin“, antwortete Rohan seelenruhig, „dass sie nachzuwachsen scheinen wie Unkraut im Garten.“
Mit leichtem Schenkeldruck versetzte Melisande ihre Stute in Trab, und er ließ sie gewähren. Als er sie schließlich einholte, hatte sie leider ihre Fassung wieder gewonnen. Sie sah ihn an.
„Lord Rohan“, begann sie sachlich, „ich bin müde und schlecht gelaunt und nicht in der Stimmung, mich mit Ihnen auf das einzulassen, was Sie Konversation nennen mögen. Wir bringen diesen
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