Im Sommer sterben (German Edition)
daraus vor: »Matura Typus A, mit Auszeichnung. Abschluss in Economics an der Standford University, ein Master of Business Administration am INSEAD in Fontainebleau … Entschuldige, aber das klingt nach arrogantem Arschloch.«
»Ist das deine Interpretation von Bildung?«
»Nicht unbedingt. Aber wenn du jetzt noch sagst, dass er gut aussah und Blockflöte spielen konnte, dann muss ich lachen.«
»Dir hätte er gefallen«, konterte Linus.
»Nein, da irrst du dich.« Marianne hielt inne. »Auf den ganzen drei Seiten ist kein einziger schwarzer Fleck auszumachen.« Sie schlug mit der Hand aufs Papier. »Kein Misserfolg, nichts, was in die Binsen ging. Das ist doch einfach nicht normal.«
»Offenbar gibt es Ausnahmen.«
»Aber nicht mit sechsundfünfzig Jahren. Da muss es doch etwas geben, das nicht ins Bild passt.« Energisch drückte sie den Zigarettenstummel in den Aschenbecher.
»Neid, wahrscheinlich.«
»Ich bin nicht neidisch, nur eben misstrauisch.«
»Als Motiv für den Mord, meine ich. Könnte doch sein, oder?«
»Vielleicht.« Marianne dachte nach. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich glaub nicht dran.«
»Jedenfalls bin ich mit ihm ins Geschäft gekommen«, erzählte Linus nicht ohne Stolz. »Fünf Kandidaten hatte ich ihm präsentiert, alle mehrsprachig mit besten Referenzen. Nachdem er mit jedem ein mehrstündiges Interview geführt hatte, entschied er sich für den Besten.«
»Für den Teuersten, nehme ich an?«
»Jedenfalls konnte er mit Menschen umgehen, hatte ein unglaubliches Gespür für Talente. Er war offen, intelligent …« Linus suchte nach weiteren Adjektiven. »Zwei Wochen später hatte ich mein Honorar.«
Die junge Hotelangestellte brachte ein zweites Glas Chardonnay.
Er prostete der Journalistin zu.
Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, stellte Marianne den Wein zurück auf den Tisch. »Sei einmal ehrlich, Linus. Angenommen, es wäre nicht dein Kunde, sondern irgendein Kandidat gewesen. Würde dich dieser Lebenslauf nicht auch stutzig machen?«
Linus hielt das Weinglas gegen das Licht. » Too straight , würde ich sagen.«
»Der Wein oder Bettlach?«, kam es ungeduldig von Marianne.
»Beides.« Er lachte. »Aber wenn jemand etwas zu verbergen hat, dann steht es ganz sicher nicht in seinem Lebenslauf.«
»Wo denn?«, wollte Marianne wissen.
»Vergraben. Zwischen den Zeilen … oder zu Hause im Keller. Was weiß ich.«
»Wo würdest du denn suchen?«
»Im Privaten vielleicht. Da steht nicht viel.«
»Geschieden, keine Kinder, Golf«, las Marianne.
»Eben.«
»Du meinst, er war doch nicht so ein Goldhamster.«
»Das habe ich nicht gesagt … Nur, wenn jemand diese Abschlüsse so hinpfeffert, mit Bestnoten wohlverstanden, dann fehlt es vielleicht woanders.«
»Auch ein Vorurteil, oder?«
»Nennen wir’s eine Arbeitshypothese.«
»Du hast doch etwas im Köcher. Komm, rück raus damit … der Typ ist tot.«
»Der Banker, den ich Bettlach vermittelt hatte …« Linus zögerte.
»Ja?« Marianne zog eine Zigarette aus der Schachtel. »Was ist mit ihm? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.«
Linus gab ihr Feuer. »Nach einem halben Jahr war er wieder weg.«
»Du meinst entlassen?«
»Nein. Er ist von sich aus gegangen.«
»Weißt du, weshalb?«
»Die Chemie stimmte nicht, genauer wollte er es mir nicht sagen.«
»Wo ist er jetzt?«
»Wieder bei der Credit Suisse.«
»Kannst du mir nicht den Namen … ich meine, dann könnte ich ihn anrufen?«
Linus schüttelte den Kopf.
Marianne ließ nicht locker. Eine Dreiviertelstunde saßen sie da, sprachen über alles Mögliche und tranken ein zweites, und noch ein drittes Glas Wein. Dann hatte Marianne, was sie wollte.
Die Redaktion des Zürcher Tagblatt s war unterbesetzt. Und als nähme die Welt darauf Rücksicht, gab es nichts Spektakuläres, über das man hätte berichten können. Man zog hier wie dort Konserven aus der Schublade oder ging auf Pressekonferenzen, die man sonst links hätte liegen lassen.
Der Mordfall Bettlach war eine Ausnahme, und seit Marianne ihren Artikel platziert hatte, grüßte und kannte man sie.
Dario Hollenweger von der Sportredaktion streckte neugierig den Kopf über ihre Schulter. »Gibt’s was Neues?«, wollte er wissen.
»Vielleicht.« Sie lächelte vielsagend.
Als Dario merkte, dass aus Marianne nichts herauszuholen war, schimpfte er über die desolate Leistung des FC Zürich im letzten Spiel gegen den Stadtrivalen Grashoppers.
»Der letzte Heimerfolg datiert vom
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