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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Ozeans, einmal lauter und dann wieder leiser wurde. Eine Tram imitierte das Kreischen der Möwen, und auf dem Flur hörte man gedämpft Schritte.
    »Und als Sie das erkannt hatten, haben Sie ihn verlassen«, sagte er leise und nickte.
    »Ja.« Sie hob den Blick. Wieder dieses herausfordernde Augenpaar, das sich Eschenbach zuwandte, als fragte es ihn: Wissen Sie denn gar nichts?
    Eschenbach schwieg.
    »Ich störte mich nicht an seinen Affären. Dass er mich belog, mich benutzte, das war nichts Neues. Das wusste ich schon, bevor ich mit ihm schlief. Aber das, was er anderen antat, das wusste ich nicht.«
    Obwohl sie immer noch in Rätseln sprach und Eschenbach nicht die geringste Ahnung hatte, um was es ging, wusste er, dass er richtig gelegen hatte und den Schlüssel in der Hand hielt. »Wie kamen Sie darauf?«
    »Zuerst fand ich nur die Bilder. Zufällig, als ich eines Morgens seinen PC benutzte und einen Brief speichern wollte. Die angelegten Verzeichnisse kamen mir irgendwie merkwürdig vor.«
    »Und dann?«
    »Ich saß wie versteinert vor dem Bildschirm. Kleine Mädchen … und Jungen. Es waren Kinder, Herr Kommissar!« Ihre Stimme zitterte. »Ich sah die Lieblosigkeit der Männer, die in ihre Körper und Seelen eindrangen. Körper und Seelen, die nicht reif für das waren, was man ihnen antat. Hunderte von Bildern, sauber in Dateien abgelegt. Ich schlug mir ins Gesicht, biss mir in den Handrücken, bis ich blutete. Ich wollte nicht glauben, was ich sah; wollte aufwachen und wegrennen.«
    »Und später?« Eschenbach spürte, wie sein Hals langsam trocken wurde. Er wollte nicht an Kathrin denken, tat es aber trotzdem.
    »Später lief ich nach Hause. Ich rannte den ganzen Weg. Rannte bei Rot über die Kreuzung, rannte über Bahnschienen und Böschungen und wurde mehrmals von einer Straßenbahn fast gestreift. Ich wollte schneller sein als die Bilder, die mich verfolgten. Zu Hause erbrach ich mich mehrere Male. Ich duschte, wusch mich … und dann kamen die Weinkrämpfe. Ich hatte sicher seit zehn Jahren nicht mehr geheult. Meine Augen schwollen an, bis ich kaum noch etwas sah. Nur noch verschwommene Umrisse meiner Wohnung. Und wenn ich die Augen schloss, sah ich die Gesichter der Mädchen und Jungen wieder, sah das Wimmern und die Hoffnungslosigkeit in ihren Augen.«
    Eschenbach räusperte sich. Es ging ihm mehr an die Nieren, als er sich anmerken ließ.
    »Und warum gingen Sie nicht zur Polizei?«
    »Das wollte ich … gleich am nächsten Tag. Doch dann kamen die Zweifel und etwas später die Neugier.«
    »Neugier?«, fragte der Kommissar erstaunt.
    »Ich wollte wissen, ob noch mehr war. Ob es noch mehr gab, wovon ich nichts wusste.«
    »Und? Gab es mehr?«
    »Ja, es gab mehr.« Sie hatte ihre Hände aus dem Schoß genommen und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Stimme war heiser.
    »Ich hatte noch die Schlüssel und wusste ungefähr, wann er weg sein würde und wann die Putzfrau da war. Ich musste nicht lange suchen, bis ich die Videos fand. Ein halbes Dutzend. Kinderpornos … ich konnte sie mir nicht wirklich ansehen. Nur Sequenzen.«
    »Und, was war darauf?« Eschenbach, der immer noch wie gelähmt auf seinem Stuhl saß, erschrak über die Neugier in seiner Frage.
    »Kann ich ein Glas Wasser haben, Herr Kommissar?« Eschenbach drückte auf den Knopf seiner Gegensprechanlage und bat um zwei Glas Wasser.
    »Mit oder ohne Kohlensäure?«, schepperte es aus dem Lautsprecher.
    Rosa Mazzolenis verzerrte Stimme gab der Situation etwas Groteskes und zerschnitt die Beklommenheit, die still und dumpf auf beiden lastete.
    Doris Hottiger lächelte, schüttelte leicht den Kopf, und Eschenbach entnahm den Bewegungen ihrer Lippen, dass sie ohne nahm.
    »Zwei Mal ohne, bitte.«
    Sie warteten schweigend, bis das Wasser kam. Dann sprachen sie weiter.
    »Es war …« Doris Hottiger rang nach Worten. »Auf den Videos ist alles noch viel schrecklicher, verstehen Sie? Die Schreie … das Wimmern. Eines der Mädchen war keine sechs Jahre alt. Es war entsetzlich.«
    »Und Bettlach?«
    »Zwei der Filme musste er selbst gedreht haben. Ich hörte seine Stimme, und in einer Sequenz sah ich seinen Arm, seine Armbanduhr.«
    »In seinem Haus?«
    »Zwei oder drei der Filme ja. Sonst kannte ich den Ort nicht.«
    »Wer war noch dabei?«
    »Noch ein Mann … sie waren zu zweit. Die Gesichter sah ich nicht … Aber wie gesagt, ich konnte mir von den Filmen nur Sequenzen ansehen. Außerdem hatte ich eine panische Angst

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