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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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der Hand. »Das ist alles bezahlt, Herr Pieszeck.«
    »Ich weiß. Ich wollte mich nur nochmal bedanken.«
    »Das ist nett. Sie sind das also, der die ganzen Jahre die Blumen und Gebinde bezahlt.«
    »Ja.«
    »Ich habe mich immer gefragt, ob Sie jemals hier auftauchen. Möchten Sie eine Quittung?«
    »Nein. Und jetzt bin ich aufgetaucht.«
    »Und ich müsste mich bei Ihnen bedanken.«
    »Müssen Sie gar nicht.« Er schüttelte den Kopf. Lehnte immer noch auf dem Tisch, auf dem die Kasse stand.
    »Mein ehrliches Beileid, wegen Ihrem Vater.«
    »Danke.« Er richtete sich auf, schob die Hände in die Manteltaschen. »Zum Schluss war es das Beste für ihn.«
    Sie strich über die Aufschläge ihres blauen Kittels. Nickte. Er blickte auf die Falten neben ihren Mundwinkeln. Jetzt lächelte sie. »Manchmal«, sagte sie, »manchmal ist es … irgendwann eine Erlösung … Entschuldigen Sie …«
    »Nein. Sie müssen sich für nichts entschuldigen. Liv. Sie sind doch Liv?«
    »Ja«, sagte sie.
    Er nickte. »Sie sind wohl schon immer hier gewesen, Liv?«
    »Ja.«
    »Dann kannten Sie meinen Vater?«
    »Nur vom Sehen, Herr Pieszeck.«
    »Hans.«
    »Hans.« Er blickte auf die Falten neben ihren Mundwinkeln. Kurze schwarze Haare, ein schmales Gesicht. Anfang vierzig vielleicht.
    »Und Sie sind schon immer hier gewesen in der Stadt?«
    »Ja.«
    »Und meinen Vater kannten Sie auch?«
    »Vom Sehen, nur vom Sehen, Hans.«
    »Wissen Sie, wo er wohnte, unten am Fluss?«
    »Nein, nicht wirklich.«
    »Da bin ich groß geworden, da bin ich aufgewachsen.«
    »Dann haben wir uns vielleicht schonmal gesehen.«
    »Wo sind Sie denn groß geworden, Liv? Ich darf Sie das doch fragen.«
    »Auf der anderen Seite.«
    »Beim Werk?«
    »Kennen Sie das kleine Viertel am Hafen?«
    »Ja. Natürlich. Mein Vater war im Werk.«
    »Mein Onkel war im Werk.«
    »Vor vielen Jahren habe ich drüben im Dorf 3 in der Gärtnerei gearbeitet.«
    »Gärtnerei Schmidt?«
    »Hm.«
    »Die ist schon sehr lange zu.«
    »Das habe ich mir gedacht, Liv. Sie heißen bestimmt nach Liv Ullmann.«
    »Der Schauspielerin? Nein. Meine Urgroßmutter hieß Liv. Ihr Vater, also mein Ururgroßvater, kam aus Schweden.«
    »Schweden … Da fahren Sie wohl manchmal nach Schweden? Zur Verwandtschaft?«
    »Oh nein.« Sie lachte. »Da haben wir keine Bindung mehr.«
    »Dort muss es immer sehr kalt sein«, sagte Hans, »und das Tageslicht verschwindet schon am Mittag …«
    »Ich glaube, ganz so schlimm ist es nicht.«
    »Dann waren Sie also doch schonmal in Schweden, Liv.«
    »Nein, war ich nicht.«
    »Ich hab nur Spaß gemacht. Nehmen Sie’s mir nicht übel.«
    »Nein. Ist schon in Ordnung. Sie wollen nach Hause?«
    »Ich bin auf dem Sprung.« Er stieß mit dem Fuß an seine Reisetasche.
    »Ach, Sie sind mit dem Zug?«
    »Nein.« Er lachte. »Ich wollte, ich wäre es. Ich hatte nur …«, er bückte sich, zog den Reißverschluss seiner Tasche auf, »ich wusste ja nicht, dass ich Sie hier treffe, ich dachte eher an eine alte Blumendame.« Er stellte die Flasche Wein auf die Verkaufstheke. »Und ich hatte Ihnen ja gesagt, dass ich mich bedanken möchte.«
    »Das wär gar nicht nötig gewesen.«
    »Doch. Jetzt würde ich sagen, dass es nötig war.«
    »Und deswegen schleppen Sie Ihre Reisetasche hier rein.«
    »Wissen Sie, Liv, ich bin ein seltsamer Mensch.«
    »Ja. Ich glaube, das sind Sie.«

    Hans saß auf dem Bett in seinem Hotelzimmer. Er trug immer noch seinen schwarzen Anzug. Er wünschte, er hätte lange Unterhosen eingepackt. Aber er hatte die Kälte nicht gespürt auf dem Friedhof. Der Fernseher lief auf dem Tisch, war still gestellt. Er griff neben sich über die Laken, suchte die Fernbedienung. Seine Zigarettenschachtel lag neben ihm. Er nahm sie, hielt sie Richtung Fernseher und drückte auf die Buchstaben, die Folie, den Schriftzug über dem Tod. »Nun geh schon aus, du Scheißding.« Er schmiss sie gegen das Bild, gegen die Röhre, gegen das dicke Glas.
    Er hatte zwei Neffen, die hießen Klaus und Manfred. Einmal hatte seine Schwester am Telefon gesagt, dass sie ja froh sein könne, dass sie keine Töchter hätte, sonst würden die ja vielleicht irgendwann bei ihm landen. Ja, scheiße. Leckt mich doch . Irgendeine bescheuerte Talkshow lief. Und Familie? Während die Assis sich ohne Ton zerfleischten, trat plötzlich ein kleiner Junge mit einer Zuckertüte ins Bild und auf die Bühne. Großaufnahmen von Gesichtern, flennende Mütter, Väter mit Händen vorm Gesicht. Bilder,

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