Im Stein
Bilder, Schriftzüge. Und Hans erinnerte sich an die Einschulung von AKs Sohn, vor Jahren. Vielen Jahren. Was war mit AKs Eltern gewesen, wie war da das Verhältnis von Vater und Sohn, Eltern und Kind nach all den Jahren? »Und kommst du gut aus mit ihnen?«
»Natürlich, was denkst du denn?«
»Gar nichts. Ich frag nur.«
»Alles bestens. Als wär ich ’n Kaufmann, als wär ich ’n Krämer. Und das bin ich doch auch.«
»Bist du. Und was ham die so gemacht, also so beruflich?«
»Der neugierige Hans.«
»Sorry. War zu viel Wein.«
»Schon in Ordnung, mein Schweine-Hans.«
»Sag sowas nicht.«
»Na siehst du. Pari.«
»Pari?«
»Meine Eltern, Hans. Ganz normal. Wie sonstwo. Nichts Besonderes. Natürlich schon. Angestellte. Ihr Leben lang.«
»Und keiner ist dir böse?«
»Nee. Keiner. Alles bestens.«
»Hm.« Und er erinnerte sich, während er mit seiner Zigarettenschachtel durch die Programme zappte, bevor er sie wegschleuderte, wie er bei der Einschulungsfeier für AKs Sohn, wie viele Jahre ist das jetzt her?, wie er da am Ufer des großen Sees gestanden hat, die Feier im Rücken, der Geruch nach Gegrilltem, das Lachen der Kinder, die Stimmen der Verwandten, eine scheißnormale Familienfeier, ein Schulanfang mit Zuckertüten an den Bäumen, mit Tischen voller Essen und Getränke, Bowle in großen Glasgefäßen, aus denen die alten Damen schöpften, AKs Mutter, AKs Vater, wie sie den Jungen verwöhnten, der seine Freunde, die etwas älter waren, und auch die gleichaltrigen von den Nachbarn, mitgebracht hatte, samt den Familien, damit sie hier gemeinsam feiern konnten, der Junge kommt schließlich nur einmal in die Schule , nur paar Atzen mit Anzügen zwischen den Schulanfangsverwandten, bei der Kleidungsordnung war Arnold rigoros gewesen damals, Alex mischte die Bowle nach einem alten Rezept seiner kanackischen Vorfahren, sagte er jedenfalls, lachend, einer der Gebrüder W. war da, hatte seinen Sohn mitgebracht, die W. hatten in Restaurants und in den großen Stripclub investiert, zogen sich langsam aus dem Wohnungsgeschäft zurück …, war Karate-Steffen damals noch in der Stadt gewesen?, Hans hatte am See gestanden, die offene Flasche Rotwein unter den Arm geklemmt, hatte auf das andere Ufer geblickt, das im Abenddunst lag, die Berge verschwommen wie durch eine große Lupe, er stand dort am Ufer und sah, wie die glänzende Wasseroberfläche sich langsam rosa färbte unter dem großen Abendhimmel …
Und er packte zusammen, während der Schnee draußen wieder fiel.
»Und der Hans muss nicht nach Hause?«
»Was denkst du, wo mein Zuhause ist?«
»In der großen Stadt.«
»Wolltest du jemals hier weg, Liv?«
»Nein.«
»Wegen deinem Laden?«
»Wo sollte ich sonst hin, lieber Hans?«
Sie saßen im »Peking-Restaurant« in der Bahnhofstraße, zwei-, dreihundert Meter unterhalb des Bahnhofs. Er hatte Sake bestellt, und sie tranken heißen Sake, gossen das dampfende klare Getränk aus den kleinen Kannen in noch kleinere Becher.
»Und du warst wirklich noch nie hier?«
»Nein.«
»Und hast auch noch nie heißen Sake getrunken?«
»Nein.«
»Aber dein Laden ist doch hier um die Ecke, Liv.«
»Mein Laden ist um die Ecke.«
»Du bist eine seltsame Frau, Liv.«
»Vielleicht bin ich das.«
Einer der asiatischen Kellner brachte die Vorspeisen, verschiedene Taschen, verschiedene Rollen, Frühling, Sommer, vegetarisch, dazu eine Flasche Weißwein. »Bitte schön«, sagte er und goss ihnen ein.
»Sake und Weißwein«, sie lächelte, und Hans blickte sie an, »ob das gutgeht.«
»Gutgehen, schiefgehen, ich weiß nichtmal deinen Nachnamen«, sagte Hans.
»Was spielt das für eine Rolle«, sagte sie und griff nach einer Frühlingsrolle, und auch Hans griff in die Gefäße mit den Vorspeisen. »Wahrscheinlich keine«, sagte er und aß und kaute und wischte sich übers Kinn, »vielleicht möchte ich mehr über dich wissen.«
»Der neugierige Hans.«
»Wann bist du weggegangen?«
»Die neugierige Liv.« Er schob seinen Arm unter ihren Rücken, schob und schob, spürte das Laken, wie es unter seinem Arm zerknüllte, bis sie leicht den Oberkörper hob und er seine Hand durchschieben und auf ihre Schulter legen konnte und ihren Kopf zu sich auf die Brust zog.
»Du musst mir nichts erzählen, Hans. Aber du warst plötzlich da.«
»Und du warst plötzlich da. Vierundachtzig bin ich weggegangen.«
»Vor dreißig Jahren.«
»Nicht ganz.« Er legte sich auf die Seite und wollte sie ganz nah an
Weitere Kostenlose Bücher