Im Stein
mal … Da fühl ich mich so richtig. Da bin ich locker und entspannt, ja, so wie jetzt, aber eben mit richtiger Tiefenwirkung, nee, so mein ich das nicht, das geht eben in jeden festen Muskel rein, na, die Scherze kannste dir jetzt aber sparen, geht zwischen jeden schiefen Wirbel. Und wie ich da so rauskomme aus der Bäderanstalt, der Typ, den ich totgemacht habe, war übrigens ein wirkliches Arschloch, Liv, kannst du mir glauben!, also da kriege ich Lust, noch ’ne Runde zu wandern. Wälder sind da gleich in der Nähe, da gibt’s eine riesige Heidelandschaft, die zieht sich fast bis vor unsere Stadt, nein, nicht die Stahlstadt, so groß ist dieser Märchenwald nun auch wieder nicht, also bis vor meine Stadt.
Und ich fahr mit dem Auto noch ein Stück über die Dörfer, bis ich ’n schönen Weg und ’n schönes Stück Wald sehe, latsche dann am Rand eines Feldes los. Es is ’n schöner Herbsttag, obwohl schon fast November ist. Anfang November war’s, glaube ich, schon. Ich mag den Wald, Liv. Bin als Kind oft alleine in den Wäldern spazieren gegangen. Ja, ich mag die Wälder. Wenn’s Abend wird oder ganz früh am Morgen. Der Alte hat immer geschimpft, wenn ich so spät nach Hause kam oder am Morgen ausgebüxt bin. Hat eben immer schon geschimpft. Und später, also viele Jahre später und bis zu seinem Tod, hat er geschwiegen. Ja, ja, geht gleich los mit meinem Traum. Ich muss dir ja nur noch erzählen, wie ich das Schloss gefunden hab. Reinharz. ’n komischer Name. Kommt einem irgendwie bekannt vor, aber ich hatte vorher noch nie was von diesem Nest gehört, denn das ganze Dorf, ’n ziemlich winziges Dorf, wo das Schloss steht, heißt so.
Ich marschiere also durch den Wald, es ist Nachmittag, aber noch recht hell. Früher Nachmittag. In die Bäder gehe ich meist immer schon am Morgen. Fahre dann richtig zeitig los, damit ich gegen neun, wenn die aufmachen, mit meinem Programm beginnen kann. Schwefel, Schlamm …, na ja. Und da sehe ich plötzlich ’n Wegweiser. Neben einer kleinen Wiese, direkt an einem sehr schmalen Hohlweg, der vom Hauptweg abgeht. So sumpfige Wiesen waren da zwischen den Bäumen. Ich find Sümpfe unheimlich. Hat mich aber immer fasziniert. Da gab’s ’n Sumpf, direkt an ’nem See, der hieß, glaube ich, Blauer See. Kennst du den, Liv? Kann nicht weit weg sein. Der versumpft langsam. Unzählige Sümpfe um ihn rum. Und schmale Wege dazwischen. Einmal hab ich ’nen langen Holzstock genommen, riesenlang war der. Und hab den in den Sumpf, direkt neben dem Weg …, der war weg. Ja, ja, ich komm schon zur Sache. Der Wegweiser, genau. ›Schlosscafé‹ stand da. Und ich denke, scheiße, wo soll denn hier ’n Schloss sein oder ’n Café, ich meine, ich war ja mitten im Wald. Und nichts zu sehen zwischen den Bäumen. Ich laufe also den kleinen tiefer gelegenen Hohlweg lang, man sagt doch Hohlweg, oder?, auf der einen Seite Bäume, auf der anderen die sumpfigen Wiesen. Und dann macht der Weg ’n Knick und führt in ’ne Art Park, in ’ne Art Garten. Alles aber schon bisschen verwildert. ’ne riesige Kastanie. Kleinere Zierbäume. Beete, aber schon alles verblüht, weil ja Herbst. Und paar kleine halbverwitterte Steinstatuen zwischen den Wegen und Wiesen und Bäumen. ’ne kleine Ziegelmauer konnte ich erkennen, auf der anderen Seite vom Park. Und so große leere Blumentöppe aus Stein. Ja, und steinalt. Und eine unglaubliche Stille. Nur das Rauschen der Bäume. Im Herbst machen die Vögel ja nicht mehr so ’n Lärm, aber hier war kein einziger Piepmatz zu hören, als hätten die Ehrfurcht oder sowas. Und ich, das muss ich sagen, auch ganz schön beeindruckt. Das war wie ’n verwunschener Garten, wie in ’nem Märchenbuch. Und ich laufe also durch den Park, der von Bäumen, großen Laubbäumen, umgeben ist. Der Wald war eher so ’n Mischwald. Stellenweise Nadelwald. Und Wasser schimmert durch die Bäume. Erst denke ich, das ist der Himmel, aber dann sehe ich ’n Schwan, direkt zwischen den Ästen, ganz kahl waren die Bäume ja noch nicht, im Gegenteil, wenn ich mich zurückerinnere, waren die bunt, golden, wie das im Herbst eben so ist, aber in meinem Traum sah ich sie später kahl, und lauter Raben oder Krähen auf den Ästen, das war aber erst am Ende meines Traums, obwohl, so ’ne richtige Chronologie …, ich weiß nicht, das war alles ziemlich durcheinander, und ich weiß gar nicht genau, was da nun Ende, Anfang oder Mitte gewesen ist, ja, ja, Liv, ich komm zur Sache,
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