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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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dachte ich, also in meinem Traum, verdammt, jetzt bist du in der Zeit zurückgereist, nein, ernsthaft. Hast noch keinen totgeschossen, obwohl, und dabei bleib ich, dieser Typ ein Oberarschloch war, der mir da was kaputtmachen wollte, mich kaputtmachen wollte, aber … das ist doch jetzt egal. Und dann sehe ich zwei Diener, direkt am Eingangstor, das sich unten, am Fuße des Turmes, befand. Die hatten so Perücken auf, Barockperücken, mit ’nem kleinen Zopf. Ich hab früher immer gerne das ›Mosaik‹ gelesen, du kennst doch dieses Comic-Heft, ja, aus der Zone, und irgendwann Ende der Siebziger waren diese drei Kobolde im frühen achtzehnten Jahrhundert unterwegs, also in der Barockzeit. Nee, da war ich kein Kind mehr, aber das war ja auch nicht nur für Kinder. Da waren die in Wien, K.u.k., und dann sogar in Paris, wo dieser Sonnenkönig herrschte. Und genauso sahen die Typen aus, also die Diener. Mit so Livrees an. Und dann sehe ich, dass ich auch so gekleidet bin. Also schon etwas anders, nobler, wie ein Herzog oder sowas. Und hinter mir fährt ’ne Kutsche über die Brücke. Und wie ich so gucke, führt da ’ne Straße durch den Park und weiter mitten durch den Wald. Zwei weiße Pferde und ein Typ aufm Bock. Alles Barock. Hm, ja. Und ein Bekannter von mir steigt aus. Und der sagt auch irgendwas zu mir, aber ich kann’s nicht richtig verstehen. Klang französisch. Oder italienisch. Und der ist auch im wirklichen Leben ein Graf. Von Geburt her, wie man so sagt. Also zumindest erzählt man sich das.
    Der betreibt ’n großes Laufhaus. Läuft aber nicht gut grad. Ja, da sind viele, viele Zimmer, und in denen sitzen die Frauen. Läuft über die Miete, die sie zahlen. Alkoholausschank gibt’s da nämlich keinen. Ja, dem gehört das. Also zumindest hat er da Anteile. Bei uns und auch woanders.
    Volle Montur. So wie ich. Knickerbocker. Hohe Schuhe. ’ne Riesenperücke. Rockschöße bis zu den Kniekehlen. Und dann sind wir plötzlich im Schloss drin, laufen durch die langen Gänge, überall Türen und überall Diener. Und überall Leuchter an den Wänden. Kerzen. Und Wandteppiche dazwischen und olle Ölschinken. Vielleicht hab ich das mal so im ›Mosaik‹ gesehen, denn drin gewesen bin ich ja nicht im Schloss. Und dann ist’s mir so, als wenn ich da schon immer gewesen bin, schon immer dort gewohnt habe. Also im Traum. Reinharz. Das ist alles in meiner Erinnerung, in meinem Kopf.
    Und irgendwann sitzen wir in ’nem riesigen Zimmer, mehr so ’ne Halle, die feinsten Kristallleuchter baumeln an der Decke, und ein Licht, weil Hunderte Kerzen drauf sind, so ein strahlendes Licht hast du noch nicht gesehen. Und Kerzenleuchter auch auf der Tafel, an der wir dann sitzen. Oben am Kopfende mein alter Freund Arnold, von dem habe ich dir ja schon erzählt, ja, der Vermieterkönig, nee, nix Rotlicht, das hört er nämlich nicht gerne, und am anderen Ende der langen Tafel sitzt …, nee, da sitzt keiner, da ist nur ein leerer Stuhl, prunkvoll verziert, wie ’n Thron. Und ich und der Graf sitzen an den Seiten der Tafel. Die ist gedeckt natürlich. Hunderte Karaffen, Flaschen, Gläser, Platten mit Braten und Platten mit Obst und Trauben, so wie man sich das vorstellt, so wie die damals wohl auch geschlemmt haben, also die Reichen, die Adligen.
    Und an einer Wand steht so ’n Cembalo-Klavier, an dem sitzt einer und klimpert, und paar Typen daneben, die fiedeln Bach oder Händel, so genau kenn ich mich da nicht aus. Wunderschöne Musik. Und an den Wänden hängen Musketen und Säbel und Schwerter und lauter so Waffen.
    Und ich gucke zu Arnold, der mit seiner weißen großen Perücke dasitzt, die Hände gefaltet, einfach nur dasitzt, einen silbernen Kelch vor sich, erhaben wie ein König. Oder ’n Graf, Herzog, aber schon wie der Boss unserer kleinen Runde. Und der guckt uns aber gar nicht an, blickt nur auf den leeren thronähnlichen Stuhl am anderen Ende der Tafel.
    Und du kennst das doch, wenn man plötzlich alles sieht, nicht nur das, was du von deinem Körper aus sehen kannst, normalerweise. Und trotzdem war’s echt, fühlte sich jeden einzelnen Augenblick so echt an. Nein, kein Traum. Unten auf dem Hof fahren die Kutschen vor. Kutsche um Kutsche. Zehn, zwölf sind das bestimmt. Der ganze Schlosshof voll von Adligen. Und dann sitzen die alle mit uns an der Tafel, nur der eine Stuhl bleibt frei. Und ich muss auch immer da hingucken und weiß gar nicht, warum. Und einige von den Leuten, die da mit uns schlemmten, die

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