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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Keller, also keine Frauen. Und so SM-Räume habe ich auch nicht. Obwohl ich oft drüber nachgedacht habe. Ich mein, das ist sicher so ’n scheiß Traum, weil die Leute immer genau das denken. Ja, Liv. Von wegen das wärn Riesenklüngel und so. In jedem bescheuerten ›Tatort‹, in jedem bescheuerten Fernsehfilm. Alles erzwungen, alles in den Kellern, die bösen, bösen Luden, die in Wirklichkeit überhaupt keine Luden sind. Leckt mich doch. Entschuldige, Süße. Klar, hier und da läuft schon was schief. Wie überall im Leben, wie in jedem Geschäft. Da kenn ich genug Leute, die mich ankotzen. Da kann ich dir Geschichten erzählen, nee, lass mal. Und vielleicht bin ich auch einfach zu blöd und zu alt, um alles mitzukriegen, was da hintenrum alles läuft mit der großen, großen Politik. Und wir sind nunmal nicht in der Knusperflockenbranche. Und die Frauen, also die in den Kellerräumen des Wasserschlosses, die lachen. Die lachen und lachen. So wie ich am Tisch gelacht hab, oben bei dem Fest. Klingt unheimlich. Dieses vielstimmige, nicht enden wollende Lachen …
    Und dann bin ich wieder woanders im Schloss, das Lachen und Musik begleiten mich, den Degen halte ich in der Hand. Der Kerzenleuchter ist verschwunden. Und ich laufe und laufe, bin mal in diesem Zimmer, mal in diesem Raum, dann im Park plötzlich und dann wieder im Hof und dann wieder woanders. Und ich denke, dass das doch irgendwann mal ein Ende haben muss. Weil ich keinen Augenblick das Gefühl hatte, ich träume.
    In einem Zimmer steht Arnold und peitscht seinen Sohn aus. Und scheiße, die sind nackt alle beide. Und Papiere liegen neben den beiden auf einem verschnörkelten Tischchen, und ich will einen Blick drauf werfen, kann aber nichts erkennen, nur ein großes schwarzes Siegel, und das breche ich auf, um den Brief zu öffnen, es ist ein großer Briefumschlag, und du kennst doch diese gepressten Blüten, die man früher immer in alten Büchern fand, und in dem Briefumschlag liegt eine kleine gepresste Hand, wie von einem Kind. Man sagt ja immer, das will ich dir gar nicht erzählen, Liv, und erzähl’s dir auch nicht, dass Arnold Fotos und Dokumente hält, da gab es mal … Anfang der Neunziger, nein, das erzähle ich dir nicht, da war ich auch noch gar nicht in der Stadt, höchstens auf dem Weg in die Stadt. Und verdammt, in einem anderen Zimmer hockt Arnold auf dem Boden, und sein Sohn peitscht ihn aus und trägt die Kleider von seinem Alten und eine weiße Perücke mit einem großen schwarzen Dreispitz. Und ich begreif das alles nicht. Sein Sohn, musst du wissen, war beim Militär, weil sein Alter das so wollte. Ist aber zurück inzwischen. Und ich will was sagen, und Arnold dreht sich um, mit blutendem Rücken, die Peitsche in der Hand, und er sagt sowas wie: ›Wenn du mitmachen willst …‹ Und da hab ich ihn erstochen. Ging ganz leicht. Obwohl die Klinge durch beide durchging, also Vater und Sohn. Den Degen hab ich stecken gelassen in den Körpern und bin weitergegangen. Aber später, auf dem Turm, hab ich Arnold wieder gesehen. Da war er wieder da, als wäre nichts gewesen. Schön angezogen, Barock, versteht sich, die Perücke aufm Kopp. Mit riesigen Fernrohren hat er hantiert. Die waren da festgeschraubt. Ganz oben auf dem Turm. Direkt unter der Spitze der Zwiebel standen wir hinter einer kleinen Mauer, eine Art Aussichtsplattform. Zwei altmodische Krücken lehnten neben ihm an der Mauer. ›Ich habe schon auf dich gewartet, Hans.‹ Ja, scheiße, dasselbe hat mein Vater auch gesagt. Aber das kann ich ja noch gar nicht wissen. Und dann schauen wir übers Land. Und jede Menge Reiter in der Ferne. Zwei Horden. Die eine ein ganzes Stück weiter entfernt als die andere. Aber beide noch hinterm Wald. Und alle Bäume sind kahl. ›Wir müssen alles, alles niederbrennen, wenn wir unser Schloss behalten wollen.‹ Ja, das hat er gesagt. Und das Fernrohr ganz woandershin geschwenkt, hoch zu den Sternen. War Abend inzwischen. Und als ich dann wieder, nach Stunden, vielen Stunden, so kam es mir vor, als ich dann wieder in unserem Festsaal stehe, nur noch ein paar Kerzen brennen, sitzt da ein Mann auf dem Stuhl, der den ganzen Abend, das ganze Fest über leer gewesen ist. Als hätte er schon immer da gesessen. Na ja, und natürlich kenne ich ihn. Wir hatten uns immer engagiert, nee arrangiert, in den Jahren. Wir hoben die Becher und schmiedeten den Pakt … Ach, vergiss es, Liv. Aber dass er jetzt hier, in unserem Schloss, sitzt, das kotzte

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