Im Strudel der Gefuehle
mitgenommen aus. Ein kluger Mann würde sich nie auf einen Ritt von mehreren hundert Meilen mit einem erschöpften Pferd machen.« Wolfe zuckte die Achseln. »Doch auch wenn die Station menschenleer wäre, würde ich dir nicht erlauben hineinzugehen. Dieser Laden gehört dem Schielenden Joe.«
»Kennst du ihn?«
»Zwischen St. Joseph und Denver gibt es niemanden, der ihn nicht kennt. Seine Station ist die schlimmste von allen, und er ist der schlimmste von allen Saloonbesitzern. Er ist ein ungehobelter, großmäuliger, stets betrunkener Hurensohn, und sein Atem könnte ein Raubtier in die Flucht schlagen.«
Jessica blinzelte ihn verwirrt an. »Wie kommt es, daß er dann noch nicht seinen Laden verloren hat?«
»Um Pferde kümmert er sich genauso rührend wie eine Henne um ihre Küken. Hier draußen kann es den sicheren Tod bedeuten, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Die meisten Männer sind bereit, Joe seinen üblen Geruch zu verzeihen, wenn er frische, ausgeruhte Pferde anzubieten hat.«
»Warum ist es so gefährlich, zu Fuß unterwegs zu sein? Sir Robert hat nie etwas von irgendwelchen Gefahren erwähnt, wenn wir hier draußen unterwegs waren.«
»Sir Roberts Fährtensucher sind meist auch tapfere Krieger gewesen«, sagte Wolfe. »Auf den Ärger, den einem zwanzig schwerbewaffnete Männer einbrocken können, würde sich freiwillig kein Indianer und kein Bandit einlassen, ganz egal wie verlockend die Beute auch sein mag.«
Nachdenklich betrachtete Wolfe die erschöpften Pferde, die vor der Station angebunden waren. Es war gut möglich, daß diese Pferde ehrenhaften Männern gehörten und nicht jemandem, dessen Überleben unter Umständen von der Fähigkeit seines Pferdes abhing, dem Gesetz zu entkommen.
Möglicherweise... aber Wolfe bezweifelte es.
Jessicas Blick folgte Wolfes aus einem ganz anderen Grund. Noch vor einer Woche hätte sie keinen Hund in einer so armseligen Hütte wie dieser Station eingesperrt. Doch jetzt erschien ihr diese armselige Hütte wie ein sicherer Hafen in der trostlosen Landschaft. Als sie damals die Prärie mit Sir Robert und seiner Jagdgesellschaft besucht hatte, waren ihr ganz andere Dinge in Erinnerung geblieben: die Schönheit des hohen Grases und der versteckten Teiche, der liebliche Gesang der Vögel, der weite, blaue Himmel und der endlose, unverstellte Ausblick nach allen Seiten.
In diesem Augenblick jedoch war Jessicas Einstellung zur Prärie weniger versöhnlich. Die letzten Tage des Winters lagen über der Landschaft. Endlose Meilen schneebedeckter Steppe erstreckten sich zu allen Seiten. Die Prärie war der Inbegriff von Trostlosigkeit: flach, ohne Unterbrechungen, ohne Bäume, Seen oder Flüsse, nur durchzogen vom tiefen, klagenden Heulen des Nordwindes - ein Heulen, das wie der hoffnungslose Schrei einer zur ewigen Verdammnis bestimmten Seele klang.
Jessica war dieses Heulen aus ihren Alpträumen bestens bekannt. Erschaudernd wandte sie den Blick von der Leere ab und wünschte sich, dem Wind entkommen zu können, und sei es auch nur für ein paar Minuten.
»Wolfe, bitte.«
»Nein. Das ist kein Ort da drinnen für eine feine englische Dame.«
»Ich bin schottischer Abstammung«, sagte sie automatisch.
Wolfe lächelte, aber seinem Gesichtsausdruck fehlte jede Spur von Humor. »Ich weiß. Ob du nun schottischer oder englischer oder französischer Abstammung bist - da drinnen ist kein Platz für eine Dame.«
Jessica konnte schon nicht mehr hören, was sich für eine Dame geziemte und was nicht, denn letztendlich schienen diese Regeln immer zu ihrem Nachteil auszufallen. Andererseits würde Wolfe sie nur noch mehr damit aufziehen, wenn sie jetzt die Beherrschung verlor.
»Ich bin die Frau eines Amerikaners«, sagte Jessica lächelnd. »Und keine feine Dame.«
»Dann solltest du deinem Mann gehorchen. Ich werde dir etwas zu essen bringen, wenn das Frühstück da drinnen genießbar ist. Ich bezweifle es allerdings. Sogar Stinktiere machen einen Bogen um das Essen da drinnen.«
»Nichts kann so schlecht schmecken.«
»Warte es ab. Wenn du Hunger hast, essen wir ein wenig später. Eine der Soldatenfrauen bessert sich ihre Haushaltskasse auf, indem sie die nächste Station mit Selbstgebackenem versorgt.«
Das gespenstische Heulen des Windes zerrte an Jessicas Nerven. Zitternd und mit einem flehentlichen Ausdruck in den Augen blickte sie zu Wolfe auf.
»Wolfe, nur dies eine Mal, nur für ein paar Minuten.«
»Nein.«
Jessica zitterte vor Angst und vor
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