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Im Strudel der Gefuehle

Titel: Im Strudel der Gefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lowell
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Erschöpfung. Verbissen kämpfte sie gegen den Drang an, in Tränen auszubrechen. Aus den Erfahrungen ihrer Mutter hatte Jessica gelernt, daß Tränen nur einem einzigen Zweck dienten — nach außen hin Schwäche zu zeigen. Und Schwäche forderte andere unweigerlich zum Angriff heraus.
    »Du gehst jetzt am besten zur Kutsche zurück«, war alles, was Wolfe sagte. »Ich bringe dir etwas zu essen, falls der Fraß dort genießbar ist.«
    Jessica richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Eine Welle der Wut erfaßte sie und vetrieb für einen kostbaren Moment die Erschöpfung und die Angst. »Wie nett von dir. Womit hast du dir eigentlich die Zeit vertrieben, als du mich noch nicht zum Quälen hattest? Hast du vielleicht Schmetterlingen die Flügel ausgerissen?«
    »Wenn es so eine Quälerei ist, sich wie eine Amerikanerin und nicht wie eine englische...«
    »Schottische.«
    »...schottische Lady zu benehmen«, fuhr er fort, ohne ihren Einwand weiter zu beachten, »dann brauchst du nur ein einziges Wort zu sagen, und sofort bist du von dem primitiven Leben hier draußen in der Wildnis erlöst.«
    »Bastard!«
    »Womit du zweifellos recht hast. Allerdings hatte mir eher das Wort >Annullierung< vorgeschwebt.«
    Der Wind heulte sein eisiges Lied von der ewigen Verdammnis. Alte Alpträume wurden in Jessica wach. Wenn die Kutsche rollte, war der Wind wenigstens nicht zu hören, weil das unentwegte Rattern und Klappern der Räder jedes andere Geräusch übertönte. Doch jetzt stand die Kutsche still und die Pferde waren ausgespannt. Jetzt war es die grausame Macht des Windes, die an der Kutsche rüttelte.
    Jessica wußte genau, daß sie selbst bald zu kreischen anfangen würde, wenn sie noch länger das Heulen des Windes mit anhören mußte. Doch sie wagte nicht, Wolfe gegenüber Schwäche zu zeigen. Wenn er erkannte, wie sehr sie sich vor dem Wind fürchtete, würde er dieses Wissen gegen sie einsetzen und sie damit zwingen, nach England zurückzugehen und jemanden wie Lord Gore zu heiraten.
    Und damit würden ihre Alpträume zur Wirklichkeit, während sie bisher nichts weiter als schwarze Schatten waren, an die sie sich beim Erwachen nicht genau erinnern konnte.
    Ohne lange zu überlegen, raffte Jessica ihre Röcke zusammen und marschierte an Wolfe vorbei, der immer noch zu den erschöpften Reitpferden hinüberschaute. Genau wie er befürchtet hatte, trugen einige von ihnen das Brandzeichen, das die Südstaaten im gerade zu Ende gegangenen Krieg benutzt hatten. Zahllose Banden von Gesetzlosen hatten sich in den letzten Tagen dieses aussichtslosen Krieges zusammengefunden. Einige von ihnen hatten sich auch hier im Norden gebildet; Männer, die am Plündern und Töten Gefallen gefunden hatten und sich nicht mit dem Ende des Krieges abfinden wollten.
    Wenn doch nur Caleb oder Reno hier wären, dachte Wolfe grimmig. Ich könnte jetzt einen guten Mann gebrauchen, der mir den Rücken
    freihält.
    Doch dann sah Wolfe etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Es waren Jessicas weite Röcke, die sich im Wind blähten. Sie ging auf die Station zu und nicht etwa auf die leere Postkutsche.
    »Jessi!«
    Sie drehte sich nicht einmal um.
    Wolfe setzte sich in Bewegung, doch anstatt Jessica hinterherzulaufen, rannte er auf die Kutsche zu. Er wußte, daß er sie nicht abfangen konnte, bevor sie die Station betrat. Er riß die Kutschentür auf und sprang mit der Behendigkeit einer Katze hinein. Der lederne Präsentierkoffer, in dem sich das Gewehr und der Karabiner befanden, lag auf dem Sitz.
    Als Jessica die Eingangstür der Station erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um, um zu sehen, ob Wolfe ihr gefolgt war. Als sie ihn nirgendwo entdecken konnte, seufzte sie erleichtert. Der Seufzer schlug allerdings in ein lautloses Stöhnen um, als sie die Leute im Innern der Station sah.
    Wolfe hatte recht gehabt. Hier war kein Platz für eine Dame.
    Wenn hier drinnen für eine Dame kein Platz war, lag es nicht am rauchigen Halbdunkel, das hier herrschte; auch nicht am Schmutz oder am raubtierhaften Gestank. Es lag an den männlichen Augen, die sie mit demselben kühlen Interesse musterten, mit dem ein Juwelier einen Sack mit Goldstaub unter die Lupe nimmt - ein Körnchen nach dem anderen.
    Einer der Männer, der ein Stück abseits von den anderen gesessen hatte, stand auf und ergriff seinen abgetragenen Hut, der vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte.
    »Kann ich Ihnen helfen, Ma’m?« fragte er besorgt.
    Sogar im Halbdunkel erkannte Jessica den

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