Im Sturm der Gefuehle
ganz allein und verlassen auf der Welt stehst, meine Liebe«, sagte Sophy liebevoll, nachdem Annes erster Tränenschwall versiegt war. »Wir sind jetzt deine Familie, du wirst nie wieder allein sein.«
»Bei Gott! Sophy hat Recht«, sage Marcus voller Wärme. »Du bist jetzt unsere Schwester. Wir werden für dich sorgen.«
Da Marcus Anne bis jetzt meist ignoriert hatte, war Sophy sehr erfreut über seine Reaktion. Phoebe beeilte sich, Anne ihrer tiefen Zuneigung zu versichern, und rief aus, indem sie Annes Hand fest hielt: »Ach, Marcus hat ja so Recht! Es wird herrlich, du wirst schon sehen! Wir werden Schwestern.«
Anne sah Ives, der geschwiegen hatte, unsicher an. Nun ging er zu ihr und sah sie lächelnd an. »Keine Angst, Kleine. Du hast nichts zu fürchten. Sophy und ich freuen uns, dass du zu uns gehörst.«
Das alles war sehr bewegend, Sophy spürte, dass sie selbst den Tränen nahe war. Wie konnte er so gütig, so besorgt sein und dennoch die Gesellschaft so haltloser Wüstlinge wie Grimshaw und Coleman suchen?
In Anbetracht von Agnes' Tod wurde jeder Gedanke an eine Ausfahrt in den Park fallen gelassen. Ives, der Sophy bei den Mädchen zurückließ, zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, wo er eine kurze Nachricht an Roxbury zu Papier brachte, und ihm vom Mord an Agnes Mitteilung machte. Nachdem er den Brief an Roxbury mit Sophy besprochen und ihn einem Boten übergeben hatte, machte er sich auf, um seinem Anwalt einen Besuch abzustatten. Er wollte ihm von Annes veränderter Lage berichten und ihn drängen, bei Gericht den Antrag auf Vormundschaft voranzutreiben.
Im Moment konnte man nur abwarten und Vermutungen über den Mord anstellen. Da er dies am Berkeley Square ebenso gut tun konnte wie anderswo, kehrte er nach Hause zurück.
Es wurde ein stiller Nachmittag, den Sophy mit Anne und Phoebe verbrachte. Der Mord an Agnes ließ ihre eigenen Probleme im Moment geringfügig erscheinen. Da Agnes keine Angehörige der Familie war, bestand keine Notwendigkeit, offiziell zu trauern. Es genügte, wenn Anne, die noch nicht debütiert hatte, im Moment die ausgelassensten Unterhaltungen mied. Sophy wollte dafür sorgen, dass einige Kleider in gedeckten Farben für das Mädchen angefertigt wurden, um der Trauer um Agnes Ausdruck zu verleihen.
Das Abendessen wurde in ziemlich gedämpfter Atmosphäre eingenommen. Sophy war gerührt, dass Ives fast den ganzen Tag zu Hause verbrachte, und wenn sie ihn beobachtete, wie er Anne und Phoebe erst ein Lächeln und dann ein Lachen entlockte, fragte sie sich abermals, ob sie ihn falsch eingeschätzt hatte. In ihm war so viel Einfühlungsvermögen.
Marcus, der schon vor einiger Zeit eine Verabredung für diesen Abend getroffen hatte, ging aus, doch alle anderen richteten sich auf einen stillen Abend zu Haue ein. Die Mädchen drängten Ives und Sophy, ihnen Whist beizubringen, und die Zeit verstrich angenehm, als Anne und Phoebe sich in die Feinheiten des Spiels vertieften.
Kurz vor zehn, als sie die Karten eben weglegten, trat Emerson ein. Er näherte sich Ives mit einem silbernen Tablett und den Worten: »Mylord, dies ist eben für Sie eingetroffen.«
Ives griff nach der Nachricht, erbrach das Siegel und las das kurze Schreiben, das von Roxbury kam.
Es geht los. Meade entnahm das Memorandum den Akten bei den Horse Guards. Wir treffen uns sofort im Green Boar.
16
Ives erhob sich und begegnete Sophys unverwandtem Blick. Sie würde nicht sehr erbaut sein, wie ihm unglücklich klar wurde. Er schnitt eine Grimasse und sagte: »Ich hoffe, die Damen werden mir verzeihen, doch ich werde dringend verlangt und muss euch jetzt verlassen.«
Sophy erstarrte. Die Wärme, die sich in ihrem Inneren aufgebaut hatte, verschwand.
»Natürlich, Mylord«, sagte sie kühl, während aus ihren Augen Verachtung loderte. »Wir haben Verständnis, wenn andere Vergnügungen rufen.«
Die anklagenden Blicke, die Anne und Phoebe ihm zuwarfen, waren nicht angetan, seine Laune zu heben, sodass er sich mit einem unterdrückten Fluch verbeugte und rasch hinausging. Etwas Gutes würde dabei wenigstens herauskommen, dachte er grimmig, als er seinen Malakkastock nahm und das Haus verließ. Da das Dokument verschwunden war, bestand eine echte Chance, den Fuchs heute zu fassen. Und wenn dies geschah, gestand er sich schon besser gelaunt ein, würde er Sophy alles sagen und sich damit rechtfertigen können.
Diese Gedanken verliehen ihm Auftrieb, als er eilig die Strecke zum Green Boar zurücklegte. Er
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