Im Sturm der Gefuehle
war, Grimshaw auf frischer Tat zu ertappen. Sie hatten den Falschen aufs Korn genommen!
»Dewhurst!«, rief Ives aus. Sophys Worte vom Morgen schössen ihm durch den Kopf. Von seinem Sitz aufspringend, riss er seine Taschenuhr heraus und sah nach, wie spät es war. »Mein Gott!«, stieß er erschüttert hervor. »Sophy ist in diesem Moment mit ihm zusammen!«
21
Neben Henry Dewhurst in seinem hochrädrigen Phaeton sitzend, genoss Sophy den schönen sonnigen Nachmittag. Wie geplant hatte Henry sie am Berkeley Square vor einigen Minuten abgeholt, und nun rollten sie gut gelaunt durch die belebten Straßen Londons.
Da eine Ausfahrt in den Hyde Park in erster Linie bedeutete, zu sehen und gesehen zu werden, hatte Sophy sich entsprechend zurechtgemacht und ein hinreißendes, mit Spitze und purpurfarbigen Seidenbändchen eingefasstes Nachmittagskleid aus lavendelblauweiß gestreifter leichter Seide gewählt. Mit ihrem eleganten, mit einer kühnen Schleife unter dem Kinn fest gehaltenen Strohhut und dem weißen, spitzenbesetzten Schirm bot sie einen wahrhaft bezaubernden Anblick.
Henry machte ihr mit einem Seitenblick ein Kompliment. »Meine Liebe, darf ich sagen, dass Sie heute entzückend aussehen?«
Sophys Grübchen wurden sichtbar, als sie ihm zulächelte. »Sie sagten es eben, Henry«
»Nun, sagte ich es eben«, erwiderte er obenhin. Wieder sah er sie an. »Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Ehe mit Harrington Ihnen gut zu bekommen scheint.«
Sophy blickte geradeaus, doch Henry konnte nicht umhin, das verträumte Lächeln zu bemerken, das sich um ihre Lippen legte. »Ja, das Eheleben ist sehr bekömmlich«, sagte sie leise.
»Nun, dann freue ich mich für sie », gab er zurück.
Minutenlang schwiegen sie, während Dewhurst sein Gespann bravourös durch den dichten Stadtverkehr lenkte. Räderrollen, Hufgeklapper und die Rufe der zahlreichen Straßenhändler schufen eine ununterbrochene Geräuschkulisse. Sophy freute sich schon auf den Park und die Stille, die er bot.
Da der Berkeley Square in der Nähe des Hyde Park lag, merkte sie bald, dass Henry in die entgegengesetzte Richtung fuhr. In der Meinung, er mache nur einen Umweg, sagte sie minutenlang nichts; und da es ein schöner Tag war, hatte sie keine Einwände. Als er jedoch seine Pferde über die Vauxhall Bridge lenkte, fühlte sie sich bemüßigt, ihr Ziel in Frage zu stellen.
Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu und fragte: »Müssen Sie noch etwas erledigen, ehe wir in den Park fahren?«
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. »Ja, so könnte man es sagen, meine Liebe. Ich muss tatsächlich schleunigst etwas erledigen.«
Ein Gefühl des Unbehagens kroch ihren Rücken hoch, als Ives' Warnung ihr in den Ohren klang. Ach, Unsinn. Ich bin albern. Es war helllichter Tag, und es handelte sich um kein heimliches Treffen. Ives wusste davon. Die Dienstboten ebenso. Alle wussten, mit wem sie sich traf und wohin sie fuhren ... nur rollte die Kutsche nicht in Richtung Hyde Park.
Sie überdachte die Situation, sah aber keinen Grund für übertriebene Beunruhigung, obwohl sie beklommen sah, dass sie rasch die Stadt hinter sich ließen. Ich habe keinen Grund zur Besorgnis, redete sie sich ein. Henry ist mein Freund. Sie hatte ihn immer irgendwie gemocht, und er war der Einzige von Simons liederlichen Kumpanen, der sie nie in Verlegenheit gebracht hatte, der Einzige, der sie freundlich und respektvoll behandelt hatte.
Aber er hatte eine engere Beziehung mit ihr angestrebt. War er plötzlich verrückt geworden und wollte sie in ein geheimes Liebesnest entführen und ihr Gewalt antun? Sie schüttelte angewidert den Kopf. Lächerlich. Es gab vermutlich eine völlig harmlose Erklärung für diesen Umweg. Henry würde in wenigen Minuten seine Erledigung hinter sich gebracht haben, die Pferde wenden, und dann würde es wie geplant in den Hyde Park gehen. Und sie würde sich wie eine Idiotin vorkommen, weil sie an ihm gezweifelt hatte.
Natürlich war die andere Erklärung, jene, die ihr Schauer durch den ganzen Körper jagte und die sie nicht ganz zu verdrängen vermochte, die Möglichkeit, dass es nicht Grimshaw war, dem die Krawattennadel gehört, sondern Henry Grimshaw und Henry waren Vettern. Wenn die Nadel Henry gehörte, hätte Grimshaw sie erkannt.
Ihre Kehle war vor Angst wie zugeschnürt. Aber Henry war nicht der Mann, hinter dem sie herjagten, rief sie sich ins Gedächtnis - es war Grimshaw Alle waren sicher, dass Grimshaw der Schurke war.
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