Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
Lärm gehört, die rollenden Fässer und Ballen gesehen, das tobende Meer unter den Planken gespürt.
Sie hatten Angst gehabt, schreckliche Angst. Dazu litten sie schrecklichen Durst. Seit vielen Stunden hatten sie nichts mehr getrunken. Die trockene, schwüle Luft im Laderaum hatte ihre Kehlen ausdörren lassen. Und niemand kam, um ihnen etwas Wasser zu bringen.
»Will er uns hier unten sterben lassen?«, hatte Charlotta gefragt.
»Nein, er braucht uns noch. Und zwar lebend, sonst wären wir lange schon tot. Er hätte uns einfach in der Bucht zurücklassen können. Fischer wie Jorges gibt es noch mehr an Bord. Und Matrosen hat er überdies auch genug. Wegen uns hat er das Beiboot zurückgerufen.«
Charlotta nickte, doch dann hörte sie Schritte und unterdrücktes Fluchen. Angstvoll griff sie nach Suleika und lauschte. Die Schritte kamen näher. Und gleich darauf hörten sie die Rufe: »Doña Charlotta! Prinzessin von Kalikut!«
Charlotta erkannte die Stimme von Alonso Madrigal. Sie wusste, dass von ihm im Moment wenig Gefahr drohte.
»Hier sind wir!«, rief sie leise.
Madrigal kam näher. »Ich habe Euch etwas zum Essen und zum Trinken gebracht. Versteckt den Wasserkrug gut. Vielleicht kann ich später noch einmal kommen und Euch noch etwas bringen.«
»Warum tut Ihr das, Senhor Madrigal?«, fragte Charlotta, die trotz allem ein wenig misstrauisch war. Sie traute niemandem auf diesem Schiff. Nur Jorges und, na ja, vielleicht noch Suleika und Arabinda.
»Nun, ich bin ein Mann mit Manieren«, erklärte er mit einer unüberhörbaren Spur an Selbstgefälligkeit. »Meine Ehre gestattet es nicht, schwache Frauen ihrem Leid zu überlassen. Deshalb bin ich hier und hoffe, dass Ihr meine Freundlichkeit bei Gelegenheit zu schätzen wisst.«
Charlotta nickte und auch Suleika hatte verstanden. Hier war einer, der rechtzeitig dafür sorgte, dass sein Mäntelchen immer im richtigen Wind hing.
»Habt Dank, Senhor Madrigal. Wir erkennen Eure Ritterlichkeit dankend an und werden uns bei Gelegenheit dafür erkenntlich zeigen.«
Madrigal verneigte sich, dann schob er die Lebensmittel und die Wasserkanne durch eine Lücke zwischen den Latten des Verschlages.
»Ich hoffe, Ihr verratet mich nicht. Mein Leben habe ich für Euch aufs Spiel gesetzt. Dom Pedro hat verkündet, dass er jeden eigenhändig erwürgt, der es wagt, zu Euch in den Laderaum zu gehen.«
»Ihr seid ein mutiger Mann, ein wahrer Held«, lobte Charlotta müde und stürzte sich mit großem Appetit auf das bisschen Brot und das Wasser.
Nachdem Madrigal verschwunden war und die Frauen den größten Hunger und Durst gestillt hatten, fragte Charlotta: »Wie steht es, Prinzessin von Kalikut. Wollt Ihr mir mehr über das Tantra verraten? Ich muss gestehen, dass ich großen Genuss an der ersten Lektion empfunden habe.«
»Gern, Charlotta. Doch bevor wir uns den sinnlichen Spielen zwischen Mann und Frau zuwenden, müsst Ihr noch einiges über das Tantra und seine religiöse Bedeutung in meiner Heimat erfahren. Zu leicht wird die Kunst der Liebe mit der bloßen Erfüllung der Triebe gleichgesetzt. Doch Tantra ist mehr als das, viel mehr. Es ist eine Lebenskunst, die vollkommene Bejahung der Schöpfung. Ihr Christen glaubt, Euer Gott hätte Euch nach seinem Bilde geschaffen. Nun, warum liebt Ihr Euch dann nicht mehr? Wo ist die göttliche Idee, die in Euch wohnt? Verdient sie nicht auch, verehrt zu werden? Doch ich schweife ab. Dabei wollte ich Euch von den Ritualen der Verehrung erzählen. Das Geschlechtsteil des Mannes wird bei uns Lingam genannt. Es symbolisiert den Gott Shiva und damit die schöpferische und Leben spendende Urenergie des Mannes. Yoni ist die Bezeichnung für den weiblichen Schoß, die Quelle allen Lebens. In der Liebe verehrt die Frau in ihrem Gefährten nicht nur den Mann, sondern sieht gleichzeitig den göttlichen Schöpfer in ihm. Umgekehrt verehrt der Mann in seiner Partnerin die weibliche Gottheit. Merkt Euch das gut, Charlotta. Im Tantra wird eine heilige Handlung praktiziert, die mit großem Ernst vollzogen wird, ein göttliches Ritual zu Ehren der Gottheit.«
»Ist es dann nicht eine Sünde, Suleika, wenn ich Euch zuhöre und damit einem anderen Gott als dem Meinen huldige?«, wollte Charlotta wissen und dachte mit Erschrecken an das erste der zehn Gebote, das da gebot: »Du sollst keinen Gott neben mir haben.«
Suleika schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht, dass Ihr eine Todsünde begeht. Wir huldigen Shiva und Shakti, unseren
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