Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
fragen. Sie ahnte schon, dass ihr dieses Anliegen ganz und gar nicht gefallen würde. Also hatte sie stolz erwidert: »Danke schön. Ich brauche nichts.«
Nur beim Anblick der beiden Kranken bedauerte sie, nicht ein einziges kleines Geldstück in der Tasche zu haben.
Sie war mittlerweile im Zentrum der Stadt angelangt. Auf der großen Piazza Mayoreh herrschte reges Treiben. Eine Fischbraterei reihte sich an die nächste und verpestete die Luft mit Gerüchen nach ranzigem Fett und Fischabfällen. Hunde wühlten im Abfall, stritten sich um jeden Knochen, um jedes welke Kohlblatt. Gaukler hatten in einer Ecke mit ihren Darbietungen begonnen. Einer jonglierte mit Bällen aus Lumpen, ein anderer machte Saltos. Gleich daneben tanzten mehrere Frauen in aufreizenden Posen, angefeuert von den zum Teil schon angetrunkenen Burschen, die sich an jedem Abend auf der Piazza Mayoreh zum Vergnügen einfanden. Ein gut gekleideter Reiter sprengte mit seinem Pferd durch die Menschen. Ein Liebespaar hielt sich an den Händen, Mägde standen in kleinen Grüppchen zusammen und kicherten, sobald sich ein Bursche ihnen näherte. An einer anderen Stelle hatten sich Pilger eingefunden, die den Umstehenden von ihren Erlebnissen auf der Pilgerreise nach Santiago de Compostella berichteten und als Dank um ein wenig Wegzehrung baten.
Charlotta genoss den Lärm, die vielen Menschen, das fröhliche Treiben. Doch sie hielt sich nicht lange auf, sondern überquerte mit gerafften Röcken und schnellen Schrittes den Platz, bog in eine stille Seitengasse ein und hatte schon bald den Palazzo ihres Vaters erreicht.
»Kind! Was ist passiert?«, fragte Dom Alvarez besorgt, als Charlotta ohne Begleitung, mit vom Wind zersaustem Haar und geröteten Wangen in die Halle stürmte.
Ohne ein Wort zu sagen, warf sich Charlotta ihrem Vater in die Arme.
Beruhigend strich Dom Ernesto ihr über die Schulter und wartete, dass seine Tochter sich etwas beruhigte.
»Was ist los?«, fragte er dann wieder. »Gibt es Ärger mit deinem Ehemann? Behandelt er dich schlecht?«
Charlotta schüttelte den Kopf und senkte den Blick.
»Sieh mich an, Kind!«, forderte Ernesto.
Zögernd sah Charlotta hoch und Dom Ernesto erschrak. Ihre Augen, die früher so gestrahlt hatten, waren beinahe ohne Glanz. Sie hatte abgenommen, ihr Gesicht war schmal geworden.
»Es ist nichts, Vater. Oder besser gesagt, beinahe nichts.«
Dom Ernesto führte seine Tochter in die Sitzecke der Halle und setzte sich ihr gegenüber. Er nahm ihre Hand und sah sie aufmerksam an.
»Er hält mich wie eine Gefangene«, erzählte sie, und Dom Ernesto nickte. Er hatte etwas Ähnliches vermutet, doch war es ihm nie gelungen, Charlotta alleine zu erwischen und danach zu befragen.
»Meist ist er übler Laune, herrscht die Dienstboten an und bestraft mich mit Schweigen.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann schüttelte sie den Kopf: »Nein, sein Schweigen macht mir nichts aus. Es gibt ohnehin nichts, über das ich mit Dom Pedro sprechen möchte. Aber heute war ein seltsamer Besucher da. Klein, mit schütterem Haar, sehr auffällig gekleidet und über und über mit Duftwasser besprengt. Sie besprachen sich den halben Vormittag in Dom Pedros Arbeitszimmer, und als der seltsame Mann ging, war Corvilhas bester Laune. Später hat er nach dem Notar geschickt und stundenlang in den Urkunden gekramt.«
Charlotta beugte sich nach vorn und fasste nach dem Arm ihres Vaters. »Ich traue ihm nicht, befürchte, er heckt irgendetwas aus. Was könnte das sein, Vater?«
Dom Alvarez lehnte sich zurück. »Ich weiß es nicht, Charlotta. Niemand weiß, was in Dom Pedros Kopf vorgeht. Doch es gibt nichts, das du fürchten musst. Auch, wenn er dich wie eine Gefangene behandelt, bist du doch nicht ohne Schutz. Jorges ist oft in deiner Nähe und berichtet mir von den Vorgängen im Palazzo. Er hat sich mit einer Magd angefreundet, die ihm hin und wieder mehr erzählt, als sie wohl sollte. Auch Juana hat strenge Anweisungen, darauf zu achten, dass es dir an nichts mangelt.«
Charlotta winkte ab. »Es geht mir gut, Vater. Ich habe nichts auszustehen. Ich komme schon irgendwie War. Aber erzähl mir lieber, was es Neues in der Stadt und am Hof gibt. Ich erfahre gar nichts mehr.«
Dom Alvarez lächelte. Es war das erste Mal seit Charlottas Eintreffen, dass sich sein Mund verzog. »Alles ist wie immer. Du hast dich bisher nie für den Hofklatsch interessiert.«
Dom Alvarez kannte seine Tochter genau. Er wusste, dass sich
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