Im Sturm der Sinne
Fuß auf. Der Überwurf fiel an dieser Seite herab und ließ die kühle Nachtluft in ihren Kokon ein. »Dann fessle mich an dich, wenn es denn sein muss.«
Gilead steckte das Ende des Tuchs um ihren Schenkel herum wieder fest und richtete sich auf. »Wenn ich das tun würde, käme keiner von uns beiden zum Schlafen.« Einen Augenblick lang blieb sein Blick auf ihren Lippen ruhen, und er beugte seinen Kopf etwas zu ihr hinab.
Deidre funkelte ihn an. Wollte er sie jetzt etwa küssen? Sie war rasend vor Wut. Wirklich. Ihr Atem ging schnell, und ihre verräterischen Lippen öffneten sich.
Er zögerte, nur ein paar Zentimeter von ihr entfernt. Dann nahm er ganz langsam ihr Gesicht in seine beiden Hände, beugte sich nach vorne und küsste sie sanft auf die Stirn.
»Gute Nacht, Dee. Wir sprechen am Morgen weiter.«
Deidre brauchte keine Stunde, um zu dem Schluss zu gelangen, dass ein Entgegenkommen sie weiterbringen würde als Heldenmut. Energischer Widerstand hatte nicht funktioniert. Gilead war eingeschlafen, verdammt noch mal, und sie wurde es müde, ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen zu verlagern. So wild entschlossen wie er war, könnten sie Tage hier verbringen, außer Angus würde einen Suchtrupp ausschicken. Sie zermarterte sich das Gehirn nach einer glaubwürdigen Geschichte, aber es wollte ihr nichts einfallen. Also bitte, wenn er unbedingt die Wahrheit wissen wollte, sollte er sie bekommen. Sie hoffte nur noch darauf, ihn zu überzeugen, dass sie keine fränkische Spionin war.
Sie presste ihren Rücken gegen den Stamm, beugte die Knie und rutschte so ein kleines Stück an der rauhen Rinde hinab. Weiter würde sie nicht kommen. Sie streckte ein Bein, und während sie mit dem Gleichgewicht kämpfte, versuchte sie Gileads Stiefel zu erreichen. Es fehlten nur ein paar Zentimeter. Sie murmelte eine Reihe von Kraftausdrücken, die Clotilde einer Ohnmacht nahegebracht hätten, und ließ sich schmerzhaft ein weiteres Stück sinken. Jetzt. Gerade so. Sie stieß ihn an.
Gilead ächzte und drehte sich um und rollte mit seinem Bein auf ihren Fuß. Aha. Deidre trat ihn so fest sie konnte.
Er schrie auf und schreckte mit dem Dolch in der Hand hoch. Er sah sich verstört um und blickte dann zu ihr. »Hast du mich geweckt?«
Deidre verkniff sich ihren gesalzenen Kommentar. »Ich will Euch die Wahrheit sagen.«
Er sah sie aufmerksam an. »Wenn das wieder eine von diesen …«
Schnell schüttelte sie den Kopf. »Ist es nicht. Bitte löst meine Fesseln.«
»Ich sollte dich im Stehen zum Reden bringen.« Er murmelte etwas auf Gälisch, ging auf sie zu, schob den Dolch zwischen sie und ihr Handgelenk. »Halt mich nicht zum Narren.«
Deidre rieb sich das Handgelenk und ließ sich zu Boden sinken. Das Gras hatte sich noch nie weicher angefühlt. »Kann ich zuerst etwas Wasser haben?«
Schweigend reichte er es ihr. Deidre versuchte es nicht in allzu großen Schlucken zu trinken, aber sie war völlig ausgetrocknet, und etwas Wasser lief ihr über das Kinn. Sie wischte es mit ihrem Handrücken ab und gab ihm das Wasser zurück.
Gilead legte es neben sich ab. »Sprich, Fremde.«
Deidre zog sein Schottentuch enger um sich. Sein Geruch hatte etwas Tröstliches. Sie nahm einen tiefen Atemzug.
»Ich bin die Cousine von King Childebert von Gaul.«
Gileads Augen verengten sich. »Nicht sächsisch, aber trotzdem eine Spionin.«
»Keine Spionin. Meine Mutter, die Schwester von Königin Clovis, entstammt einer adligen Familie, die sich der Aufgabe gewidmet hat, die Weisheit und Wahrheit der Göttin am Leben zu erhalten.« Sie hielt inne.
»Fahr fort.«
»Der Schlüssel zu dieser Weisheit liegt im Stein der Weisen. Es war die Aufgabe meiner Mutter – und die ihrer Priesterinnen –, ihn zu bewahren und zu schützen. Vor ein paar Jahren wurde er von einem Zauberer gestohlen.«
Gilead sah verwirrt aus. »Und seitdem wart ihr auf der Suche nach diesem Stein?«
Deidre schüttelte den Kopf. »Zunächst schon. Aber der Zauberer war mächtiger, als wir dachten. Vielleicht war er ein Druide, dessen Kraft sehr stark ist, aber noch nicht einmal unsere älteste Seherin konnte erkennen, wo der Stein versteckt war. Dann hat sich meine Mutter umgebracht. Die Priesterinnen, die in der Obhut meiner Mutter waren, machten sich auf in die Provence, nach Rennes-le-Château, und ich wurde an Childeberts Hof gebracht.«
»Ich verstehe noch nicht ganz. Warum bist du hier?«
»Als Childebert die Nachricht erreichte, dass einer der
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