Im Sturm des Lebens
Sophia.
»Nein.«
»Würdest du es mir sagen, wenn du es wüsstest?«
Er zuckte mit den Schultern und beobachtete, wie Pilar der kleinen Teresa etwas zumurmelte und mit ihr ans Fenster trat. Sie sieht so natürlich aus, dachte er. Wie eine Madonna. Und deswegen sieht auch das
wütende kleine Mädchen auf einmal ganz reizend aus.
»Warum, glaubst du, kriegen Leute eigentlich Kinder, wenn sie sich gar nicht um sie kümmern wollen?«
Sophia wollte gerade eine Antwort geben, als ihr Vater und René das Zimmer betraten. »Das ist eine gute Frage«, murmelte sie, nahm ihm das Glas aus der Hand und stürzte seinen Wein hinunter. »Eine verdammt gute Frage.«
Pilar erstarrte, und alle Freude, die sie daraus gezogen hatte, das unglückliche kleine Mädchen abzulenken, verließ sie. Sofort fühlte sie sich unelegant, unattraktiv, alt, fett und hässlich. Da stand der Mann, der sie verlassen hatte. Und neben ihm seine jüngste Eroberung. Jünger, hübscher, klüger und sehr sexy.
Da sie jedoch wusste, dass ihre Mutter die beiden nicht begrüßen würde, setzte Pilar das Kind auf den Boden und trat auf die beiden zu. Ihr Lächeln war warm und herzlich und erstrahlte auf einem Gesicht, das viel schöner war, als sie selbst annahm. Ihre einfache Hose und ihr Pullover wirkten wesentlich eleganter und femininer als Renés teures Kostüm.
Und ihr Verhalten besaß eine Klasse, die heller funkelte als alle Diamanten.
»Tony, wie schön, dass du gekommen bist. Hallo, René.«
»Hallo Pilar.« René lächelte träge und ließ ihre Hand über Tonys Arm gleiten. Der Diamant an ihrem Finger funkelte im Licht. Sie wartete ein wenig, bis sie sicher sein konnte, dass Pilar begriffen hatte. »Du siehst ... so ausgeruht aus.«
»Danke.« Ihre Knie wurden weich. Sie spürte, wie ihre Beine nachgaben, als habe René mit aller Wucht mit der Spitze ihrer roten Pumps dagegen getreten.
»Bitte, setzt euch doch. Kann ich euch etwas zu trinken holen?«
»Mach dir keine Mühe, Pilar.« Tony beugte sich vor und hauchte ihr beiläufig einen Kuss auf die Wange. »Wir begrüßen nur rasch Teresa.«
»Geh zu deiner Mutter«, sagte Ty leise.
»Was?«
»Erfinde einen Vorwand und hol deine Mutter da heraus.«
Erst jetzt entdeckte Sophia den Diamanten an Renés Finger und registrierte das blanke Entsetzen in den Augen ihrer Mutter. Sie reichte Ty den Teller und eilte durch das Zimmer. »Mama, kannst du mir bitte mal eine Minute helfen?«
»Ja ... lass mich nur ...«
»Es dauert nicht lange«, sagte Sophia und zog Pilar rasch hinter sich her. Sie blieb erst stehen, als sie in der Bibliothek im zweiten Stock angekommen waren. Dort zog sie die Kassettentüren zu und lehnte sich dagegen.
»Mama, es tut mir so Leid!«
»Oh.« Pilar versuchte zu lachen und fuhr sich zitternd mit der Hand durchs Gesicht. »Und ich habe gedacht, ich rette die Situation.«
»Du hast es wunderbar gemacht.« Sophia trat zu Pilar, die auf eine Sessellehne gesunken war. »Aber ich kenne dieses Gesicht.« Sie umfasste das Gesicht ihrer Mutter mit beiden Händen. »Tyler anscheinend auch. Der Ring ist aufdringlich und nicht zu übersehen, genau wie sie.«
»Oh, Kind.« Pilar lachte gepresst. »Er ist prächtig – genau wie sie. Es ist schon in Ordnung.« Sie drehte jedoch an dem Goldreif, den sie immer noch trug. »Wirklich, es ist schon in Ordnung.«
»Gar nichts ist in Ordnung! Ich hasse die beiden, und ich werde jetzt wieder nach unten gehen und es ihnen ins Gesicht sagen.«
»Das wirst du nicht tun.« Pilar stand auf und ergriff Sophias Arme. Konnte man den Schmerz, der in den Augen ihrer Tochter stand, auch in ihrem eigenen Gesicht so deutlich erkennen? Und war es ihre Schuld? Hatte sie ihre Tochter in diese grauenhaften Verhältnisse, in denen sie lebte, mit hineingezogen? »Es klärt nichts und es ändert auch nichts. Hass ist sinnlos, Sophie. Du schadest damit nur dir selbst.«
Nein, dachte Sophia. Nein. Er konnte einen prägen.
»Sei wütend!«, verlangte sie. »Sei wenigstens wütend und verbittert und aufgebracht!« Sei irgendetwas , dachte sie. Irgendetwas, nur nicht verletzt und besiegt. Ich kann es nicht ertragen.
»Das bist du doch schon, Kind.« Pilar streichelte beruhigend über Sophias Arme. »Du kannst es viel besser als ich.«
»Einfach so hier hereinzukommen! Einfach hier hereinzumarschieren und es uns allen unter die Nase zu reiben! Er hatte nicht das Recht, dir oder mir das anzutun, Mama.«
»Er hat das Recht, zu tun, was er will. Aber er
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