Im Sturm des Lebens
durfte nicht. Sie durfte nicht ohne Begleitung in die Stadt fahren.
Tyler weigerte sich, den Feldern fernzubleiben. Die Senfpflanzen waren abgemäht, die Schösslinge wurden gerade gesetzt, und es gab eine kleine Heuschreckenplage. Nichts besonders Aufregendes, dachte sie leicht vorwurfsvoll, während sie eine Anfrage beantwortete. Die Wespen ernährten sich von den Eiern der Heuschrecken. Deshalb standen auch überall auf dem Weinberg Brombeersträucher, die dem Beutetier Zuflucht gewährten.
Kaum eine Saison ging ohne eine kleinere Plage vorüber. Aber es gab auch Geschichten darüber – und Leute, die sie nur zu gern erzählten –, dass schon ganze Ernten von dem Schädling vernichtet worden waren.
Sie wollte Tyler nicht bedrängen, solange er nicht sichergestellt hatte, dass alles unter Kontrolle war.
Und wenn es so weit war, würde sie schon so tief in den Vorbereitungen für die Hochzeit ihrer Mutter stecken, dass sie wohl kaum noch einen Tag erübrigen konnte, um ins Büro zu fahren, geschweige denn hinaus auf die Weinfelder.
Wenn die Hochzeit vorüber war, würde die Weinlese beginnen. Und dann hatte auch niemand für etwas anderes Zeit.
Zumindest halfen ihr all die Anforderungen und der enge Zeitplan, sich von Jerry und den polizeilichen Ermittlungen abzulenken. Es war jetzt zwei Wochen her, seit sie mit defekten Bremsen um die Kurven gejagt war, und soweit sie es beurteilen konnte, waren die Ermittlungen an einen toten Punkt gelangt.
Mit Jerry DeMorney war es etwas anderes.
Auch sie hatte ihre Quellen, und sie wusste ganz genau, dass über ihn geredet wurde. Nicht nur die Polizei hatte ihm Fragen gestellt, sondern auch seine Vorgesetzten und der Vorstand, an dessen Spitze sein eigener Großonkel stand.
Es erfüllte Sophia mit Befriedigung, dass auch er bedrängt wurde, so wie ihre Familie bedrängt worden war.
Sie klickte eine weitere E-Mail an und begann, den angehängten Text zu öffnen.
Als er sich auf dem Bildschirm aufbaute, begann ihr Herz zu rasen.
Es war die Kopie der nächsten Anzeige, die im August geschaltet werden sollte.
Ein Familienpicknick, Sonnenschein, der Schatten einer riesigen, alten Eiche. Ein paar Leute an einem langen Holztisch, auf dem Essen und Wein stand.
Das Bild zeigte verschiedene Generationen, eine Mischung aus Gesichtern, Gesten, Bewegungen. Eine
junge Mutter mit einem Baby im Schoß, ein kleiner Junge, der mit einem Welpen im Gras herumbalgte, ein Vater mit seiner kleinen Tochter auf den Schultern.
Am Kopfende des Tisches saß ein Mann, der sie an Eli erinnerte, und hatte sein Glas zu einem Trinkspruch gehoben. Das Bild strahlte Fröhlichkeit, Beständigkeit, Familientradition aus.
Dieses Bild war verändert worden. Ganz leicht nur. Drei Gesichter waren ausgetauscht worden. Sophia blickte auf ihre Großmutter, ihre Mutter und sich. Ihre Augen waren entsetzt aufgerissen, ihr Mund stand offen. In ihrer Brust steckte, wie ein Messer, eine Flasche Wein. Darüber stand:
DAS IST DEIN AUGENBLICK
ES WIRD DER TOD VON DIR
UND DEN DEINEN SEIN
»Du Bastard, du Bastard!« Sie hämmerte auf die Tastatur ein, druckte die Mail aus, speicherte sie und schloss sie dann.
Sie würde sich davon nicht erschüttern lassen, schwor sie sich. Und er würde ihre Familie nicht ungestraft bedrohen. Sie wurde schon mit ihm fertig. Sie würde das regeln.
Wütend wollte sie auf das Blatt Papier einschlagen, doch plötzlich zögerte sie.
Du bist die große Reglerin, hatte Ty zu ihr gesagt.
Die Weinstöcke von Schösslingen zu befreien war eine angenehme Art, einen Sommertag zu verbringen. Die Sonne war warm, und die Brise mild wie ein Kuss. Unter dem strahlend blauen Himmel leuchteten die Hügel in frischem Grün.
Die Trauben waren gegen die Mittagshitze durch ein immer dichter werdendes Blattwerk geschützt. ›Der Sonnenschirm der Natur‹ hatte sein Großvater es genannt.
Die Früchte waren schon halb reif. Binnen kurzem würden die Trauben langsam die Farbe wechseln, aus grünen Trauben würden wie durch ein Wunder blaue, und im letzten Stadium der Reife tief dunkelrote werden. Und dann kam die Weinlese.
Jede Wachstumsphase musste begleitet werden, und jede Phase brachte die Saison der Verheißung näher.
Als sich Sophia neben Tyler hockte, machte er vergnügt mit seiner Arbeit weiter.
»Ich dachte schon, du wolltest dich den ganzen Tag in deinem Büro vergraben und den Sonnenschein verpassen. Schreckliche Art, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wenn du mich
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