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Im Sturm des Lebens

Im Sturm des Lebens

Titel: Im Sturm des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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rann ihm in den Kragen und den Rücken hinunter. Aber er war nicht so schlimm, dass er die Arbeit abbrechen musste. Außerdem war ein regnerischer Winter ein Segen. Ein kühler, nasser Winter war der erste Schritt zu einem besonders guten Jahrgang.
    Tyler würde kontrollieren, was in seiner Macht lag – die Arbeit, die Entscheidungen, die Vorsichtsmaßnahmen und die Spekulationen. Darüber hinaus würde er darum beten, dass die Natur ihm beisprang.
    Uns , dachte er, hakte seine Daumen in die Hosentaschen und betrachtete Sophia, die in ihren Fünfhundert-Dollar-Stiefeln durch den Schlamm stampfte.
    »Ich habe dir doch gesagt, du sollst robuste Sachen anziehen.«
    Sie stieß hörbar die Luft aus und sah der weißen Atemwolke nach. »Das sind meine robusten Sachen.«
    Er musterte ihre schicke Lederjacke, die maßgeschneiderte Hose und die modischen italienischen Stiefel. »Nun, vielleicht wenn wir hier fertig sind.«
    »Ich dachte, wenn es regnet, schneidet man nicht.«
    »Es regnet nicht.«
    »Oh?« Sophia streckte die Hand aus und ließ die Tropfen darauf prasseln. »Das ist ja seltsam. Ich habe diese nasse Substanz, die vom Himmel fällt, immer für Regen gehalten.«
    »Es tröpfelt. Wo ist dein Hut?«
    »Ich habe keinen.«
    »Du liebe Güte.« Verärgert nahm er seine Kappe ab und setzte sie ihr auf den Kopf. Selbst diese nasse,
zerdrückte Hässlichkeit nahm Sophia nichts von ihrem Stil. Vermutlich war er ihr angeboren.
    »Es gibt zwei wichtige Gründe zum Schneiden«, sagte er.
    »Ja, ich weiß, dass es Gründe zum Schneiden gibt.«
    »Gut. Erklär sie mir.«
    »Um den Weinstock zu formen«, erwiderte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Und wenn wir hier nur mündlichen Unterricht abhalten, warum können wir das nicht drinnen tun, wo es warm und trocken ist?«
    »Weil die Weinstöcke draußen sind.« Und weil dies hier meine Show ist, dachte er. »Wir beschneiden die Weinstöcke, damit sie so wachsen, dass wir leichter sie leichter pflegen, abernten und Krankheiten kontrollieren können.«
    »Ty ...«
    »Still. In vielen Weinbergen arbeitet man mit Drahtspalieren statt mit Beschneiden. Hier verwenden wir beides, weil Weinbau ein endloses Experiment ist. Vertikales Verdrahten, die Genfer T-Stütze und andere Typen ... Wir schneiden jedoch auch traditionell mit der Hand. Der zweite Zweck des Beschneidens ist, das tragende Holz über den ganzen Weinstock zu verteilen, um die Produktion zu steigern und gleichzeitig Trauben von bester Qualität hervorzubringen.«
    Er sprach mit ihr wie ein geduldiger Vater mit seinem kleinen, zornigen Kind. Wahrscheinlich wusste er das auch. Sophia klapperte mit den Wimpern. »Gibt es auch eine Prüfung, Herr Professor?«
    »Du beschneidest meine Weinstöcke erst dann, wenn du weißt, warum du es tust.«
    »Wir beschneiden und verdrahten, damit die Trauben wachsen. Wir lassen Trauben wachsen, um Wein daraus zu machen.«
    Sie redete mit den Händen. Er hatte immer schon gefunden, dass es aussah wie eine Art Tanz. Anmutig und bedeutungsvoll.
    »Und«, fuhr sie fort, »ich verkaufe den Wein mit geschickten, innovativen Marketingtechniken. Ich möchte dich daran erinnern, dass sie genauso wichtig für diesen Weinberg sind wie deine Baumscheren.«
    »Gut, aber wir sind hier im Weinberg, nicht in deinem Büro. Hier unternimmst du nichts, ohne den Grund und die Konsequenzen zu kennen.«
    »Ich habe eigentlich immer gedacht, dass man sich lediglich der äußeren Umstände bewusst sein muss. Es ist ein Spiel«, sagte sie mit einer weit ausholenden Geste. »Ein Spiel mit hohem Einsatz, aber im Grunde genommen ein Spiel.«
    »Spiele spielt man zum Spaß.«
    Sie lächelte und sah auf einmal ihrer Großmutter ähnlich. »Ich nicht, Süßer. Das hier sind ältere Rebstöcke.« Sophia betrachtete die Reihen, zwischen denen sie standen. »Hier muss also Kopfschnitt gemacht werden.«
    »Warum?«
    Sie rückte die Kappe zurecht. »Weil ...«
    »Weil«, fuhr er fort und nahm die Schere aus dem Futteral an seinem Gürtel, »wir die tragenden Zweige gleichmäßig am Kopf des Weinstocks verteilt haben wollen.«
    Er wandte sich zu ihr um und schlug sich mit der Schere in die Hand. Dann schob er einen Zweig beiseite, legte einen anderen frei, führte dann ihre Hände dorthin und machte den Schnitt mit ihr zusammen.
»Wir wollen, dass die Mitte, die Spitze, frei bleibt. Sie braucht Raum, damit sie genug Sonne bekommt.«
    »Was ist mit mechanischem Beschneiden?«
    »Das machen wir auch. Du aber nicht.«

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