Im Sturm des Lebens
Er wandte sich dem nächsten Zweig zu. Sie riecht weiblich, dachte er. Ein exotisches Gegengewicht zu dem einfachen Duft von Regen und feuchter Erde.
Warum zum Teufel musste sie sich für die Arbeit draußen mit Parfüm bespritzen? Fast hätte er sie gefragt, aber dann fiel ihm ein, dass er ihre Beweggründe vermutlich weder verstehen noch mögen würde, und so ließ er es bleiben.
»Du arbeitest mit der Hand«, erklärte er ihr und tat sein Bestes, um ihren Duft zu ignorieren. »Ast für Ast. Pflanze für Pflanze. Reihe für Reihe.«
Sie blickte über die endlosen Reihen, die unzähligen Weinstöcke, die von Arbeitern beschnitten wurden oder darauf warteten, beschnitten zu werden. Ihr war klar, dass das Schneiden den ganzen Januar hindurch bis in den Februar hinein dauern würde. Und sie stellte sich vor, wie ihr das Ganze noch vor Weihnachten zum Hals heraushängen würde.
»Wir hören um zwölf auf«, erinnerte sie ihn.
»Um eins. Du warst zu spät.«
»So spät nun auch wieder nicht.«
Tyler drehte sich zu Sophia um. Er stand über sie gebeugt, die Arme auf ihren Armen und seine Hände über ihren, damit er sie beim Beschneiden leiten konnte. Die leichte Drehung war unbeabsichtigt. Aber sie hatte eine heftige Wirkung.
Ihre Blicke trafen sich – irritiert seiner, nachdenklich ihrer. Sie spürte, wie sein Körper sich anspannte und wie ihrer darauf mit einem leichten Prickeln reagierte.
»Na«, schnurrte sie und ließ ihren Blick zu seinem Mund gleiten. »Wer hätte das gedacht?«
»Schneid den Ast heraus.« Ty richtete sich auf und wich zurück, aber sie drehte sich einfach weiter um, sodass sich ihre Körper erneut berührten. Ein weiterer Schritt zurück hätte ihn als Feigling abgestempelt. Oder als Narr.
»Mach dir keine Sorgen, MacMillan, du bist nicht mein Typ.« Groß, rau, ein Naturbursche. »Normalerweise jedenfalls nicht.«
»Und du nicht meiner.« Scharf, aufgetakelt, gefährlich. »Niemals.«
Er konnte es nicht wissen, aber eine solche Bemerkung fasste sie nicht als Beleidigung auf, sondern als Herausforderung. Ihr leises, rein körperliches Interesse erreichte augenblicklich einen anderen Level. »Ach, tatsächlich? Warum nicht?«
»Ich mag keine kessen, aggressiven Frauen mit Modebewusstsein.«
Sie grinste. »Das bringe ich dir schon noch bei.« Dann wandte sie sich wieder den Ästen zu. »Wir hören um zwölf Uhr dreißig auf. Ein Kompromiss. Wir haben in dieser Saison viel zu tun.«
»Zwölf Uhr dreißig.« Er zog seine Handschuhe aus und reichte sie ihr. »Zieh die an, du bekommst sonst Blasen an deinen zarten Händen.«
»Danke. Sie sind zu groß.«
»Das geht schon. Morgen bringst du deine eigenen mit und setzt dir eine Kappe auf. Nein, nicht da«, sagte er, als sie einen weiteren Ast abknipsen wollte.
Er trat wieder hinter sie, legte seine Hände über ihre und lenkte die Schere an den richtigen Platz.
Ihr befriedigtes Lächeln sah er nicht.
Trotz der Handschuhe bekam sie Blasen. Sie taten zwar nicht wirklich weh, aber sie waren lästig. Als Sophia umgezogen und geschminkt war, ergriff sie ihre Aktentasche und rief laut auf Wiedersehen. Dann eilte sie aus der Tür. Während der kurzen Fahrt zu MacMillan ging sie im Geiste noch einmal ihre Verpflichtungen für den Tag durch. Sie würde ziemlich viel in ziemlich wenig Zeit packen müssen.
Sie hielt vor dem Feldstein-Haus mit der ausladenden großen Zeder davor und hupte zweimal kurz. Tyler ließ sie nicht warten, was ihr gefiel. Und er hatte sich umgezogen, stellte sie fest. Das Jeanshemd und die verblichene Jeans waren zwar weit von dem entfernt, was sie sich unter zwangloser Businesskleidung vorstellte, aber sie beschloss, seine Garderobe erst später zu kritisieren.
Er öffnete die Tür des BMW-Cabrios und blickte sie finster an. »Du erwartest doch nicht, dass ich mich in dieses winzige Spielzeugauto setze?«
»Es ist geräumiger, als es aussieht. Komm schon, jetzt stiehlst du mir meine Zeit.«
»Hättest du nicht den Jeep nehmen können?«, beklagte er sich, während er sich auf den Beifahrersitz quetschte.
Er sah aus wie ein großer, schlaksiger Schachtelteufel in einer viel zu kleinen Schachtel. »Ja, aber ich habe es nicht getan. Außerdem fahre ich gern mit meinem eigenen Auto.« Und das bewies sie ihm auch, denn kaum hatte er sich angeschnallt, gab sie Gas und sauste die Straße entlang.
Sie mochte die Berge im Regen. Sie sahen aus wie Schatten hinter einem silbernen Vorhang. Und sie mochte auch die
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