Im Sturm erobert
die bevorzugten Verstecke seiner Beute ausfindig zu machen, perfektioniert, und er lag nur selten falsch. Heute nacht hielt er Wache in einer dichten Baumgruppe, die unweigerlich jeden vorbeireitenden Schurken anzog. Von seinem Posten aus konnte er die andere Seite der Straße überblicken und wartete geduldig auf das Rumpeln von Kutschenrädern. Er wußte, daß der Mann in den Bäumen auch wartete.
Ein eisiger Hauch lag in der Luft. Leo dachte an das warme Feuer und den Brandy, die ihn erwarteten. Und dann dachte er an Beatrice. Morgen würde er mit ihr nach London reisen. Irgendwo tief in seinem Inneren breitete sich Erregung aus. Das Klappern von Rädern und das Geräusch schwerer Hufe auf schlammigem Boden holten ihn aus seinen Tagträumen. Er zog vorsichtig eine der beiden Pistolen, die er mitgebracht hatte, aus dem Gürtel und zog sanft an den Zügeln, um Apollos Aufmerksamkeit zu erregen. Der große graue Hengst hörte auf zu dösen. Er hob den Kopf und spitzte die Ohren. Die Kutsche bog, ziemlich langsam wegen des feuchten Bodens, um eine Kurve. Die Vorhänge des Wagens waren nicht zugezogen, und die Lampen im Inneren zeigten einen ältli-chen Gentleman mit dicken Koteletten und eine Frau mit einem riesigen, grauen Turban.
Ein paar Sekunden lang passierte nichts. Leo fragte sich, ob er sich geirrt hatte. Dann, mit einem Knacken gebrochener Äste und zerstreuter Blätter, donnerte ein Pferd mit Reiter aus den Bäumen und ging mitten auf der Straße in Stellung. »Halt und raus mit den Klunkern, Meister Kutscher, oder ich blas Euch den Kopf von den Schultern.« Der Straßenräuber trug einen breitkrempigen Hut. Eine Maske aus einem Dreieck dreckigen weißen Stoffs verdeckte sein Gesicht. Er richtete mit ausgestrecktem Arm seine Pistole auf den Kutscher.
Leo zog den Kragen seines Umhangs über die Ohren hoch und den Hut tief ins Gesicht. Die Schatten der Nacht würden den Rest erledigen. Er schickte sich an, Apollo aus den Bäumen zu lenken.
»Du sollst mit Blindheit geschlagen werden, Mann.« Der erschrockene Kutscher zerrte in Panik an den Zügeln. »Was willst du von uns? Ich hab doch nur ein altes Ehepaar da drin.«
Der Räuber lachte, als die Kutsche schwankend zum Stehen kam. »Ein Pärchen vom hiesigen Adel, meinste wohl.«
Er trieb sein Pferd vorbei an dem Kutschgespann und hielt neben der Tür. »Also, was haben wir denn da drin? Kommt raus. Und macht schnell, dann seid ihr gleich wieder unterwegs. Wenn ihr Ärger macht, jag ich einem eine Kugel in den Hals. Mir ist es einerlei, wen ich dabei erwische.«
Die Dame mit dem Turban kreischte so spitz, daß die Pferde zusammenzuckten. »Harold, es ist ein Straßenräuber.«
»Das sehe ich auch, meine Liebe.« Harold beugte sich aus dem Fenster. »Hört mal, meine Frau und ich haben nur wenig Schmuck dabei. Ich hab eine Uhr und sie ein oder zwei Klunker, aber mehr nicht.«
»Das werd ich mir selber anschauen.« Der Straßenräuber fuchtelte ungeduldig mit der Pistole. »Steigt aus der Kutsche. Beide.«
Leo dirigierte Apollo mit den Knien. Der Hengst schritt aus dem Gebüsch zum Straßenrand.
»Die abendliche Unterhaltung ist zu Ende«, sagte Leo.
»Was, zum Teufel?« Der Räuber drehte sich im Sattel um. Die Augen über dem Rand der Maske wurden erschrocken aufgerissen. »Was bildest du dir ein? Das ist meine Kutsche. Such dir eine eigene. Hau ab, bevor ich dir ein Loch in den Bauch schieße.«
»Harold, da ist noch einer. Wir sind verloren.«
Leo ignorierte die Frau. Er richtete seine Pistole auf den Straßenräuber. »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß diese Gegend ungesund für Diebe ist. Wenn du bei Morgengrauen nicht verschwunden bist, wirst du hängen.«
Der Mann lachte barsch. »Ich nehme an, du bist der Wolf in Menschengestalt, vor dem sie mich im Gasthaus gewarnt haben. Aber ich hab Neuigkeiten für dich. Ich fürchte mich nicht vor Werwölfen und ähnlichem.«
»Das ist dein Problem, mein Freund. Laß die Pistole fallen.« »Ich glaube, den Gefallen werde ich dir heute nacht nicht tun, Meister Wolf.«
Das Selbstvertrauen des Straßenräubers beunruhigte Leo. Da stimmte etwas nicht. Aber das mußte derselbe Straßenräuber sein, der vor Beatrice und ihrer Pistole geflüchtet war. Es war einfach nicht denkbar, daß zwei Schurken gleichzeitig die Gegend heimsuchten.
Entweder war Beatrice mit einer Pistole wesentlich beängstigender als er mit seiner eigenen Waffe, dachte Leo, oder der Straßenräuber hatte Grund für seine
Weitere Kostenlose Bücher