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Im Sturm erobert

Titel: Im Sturm erobert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Quick
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werde ihn nicht brauchen.« Leo ging den Gang hinunter und schob die Tür zu Beatrice’ Arbeitszimmer auf.
    Hinter ihm seufzte Mrs. Cheslyn. »Ein anständiger Zeitplan würde so etwas verhindern.«
    »Seid vorsichtig, Mrs. Poole.« Kerzenlicht tanzte über Saltmarsh’ Brille, als er durch das Dämmerlicht nach oben spähte. »Wenn Ihr stürzt, sind wir noch schlimmer dran, als wir es ohnehin schon sind.«
    »Ich hab das verdammte Ding fast los.« Beatrice kauerte auf einem großen, reich geschnitzten Schrank und versuchte, ein verziertes Metallgitter aus dem Stein zu lockern, in den es versenkt war.
    Saltmarshs kräftiger Gehstock diente als Hebel. Glücklicherweise waren die Eisenstifte, die das Gitter verankerten, längst verrostet.
    Vor zwanzig Minuten, nach einer genauen Untersuchung des Raumes, hatte sie das große Gitter in der Wand in der Nähe der Decke entdeckt. Sie kam zu dem Schluß, daß es die Öffnung eines Tunnels war, den man gebaut hatte, um den unterirdischen Raum mit Frischluft zu versorgen.
    Saltmarsh war zu seiner großen Scham von den Nachwirkungen des vergifteten Tees zu schwach, um zu protestieren, als Beatrice verkündete, sie würde jetzt auf den Schrank klettern.
    »Wie kommt Ihr darauf, daß der Tunnel hinter dem Gitter ins Freie führt?« fragte Saltmarsh nervös.
    »Seht Ihr, wie die Luftbewegung die Kerze flackern läßt?« Sie nickte in Richtung der rasch kleiner werdenden Funzel, die sie auf dem Schrank neben ihrem Knie plaziert hatte. Die Flamme tanzte in der schwachen Brise, die durch das Gitter kam. »Ich kann die Feuchtigkeit riechen und den Nebel praktisch schmecken.«
    Sie war dankbar für den Gehstock, aber sie hätte, wenn nötig, auch mit bloßen Händen versucht, das Gitter herauszuzerren. Sie wollte um jeden Preis raus aus diesem Raum. Der Gedanke, die Nacht hier zu verbringen, erfüllte sie mit einer Angst, die weit größer war, als ihre Lage dies rechtfertigte.
    Es war ein unglücklicher Zeitpunkt dafür, daß ihre alte Empfindlichkeit für Atmosphären wieder zum Leben erwachte, dachte sie. Diesmal war ihre Reaktion wesentlich beunruhigender als gewöhnlich. Ihre Sinne waren in Alarmzustand, so als ob eine unsichtbare Bestie durchs Zimmer streifen würde. Nie zuvor hatte sie ein so extremes Gefühl von Dringlichkeit befallen. Sie konnte die kaum kontrollierbare Verzweiflung, die sie antrieb, nicht erklären.
    Sie fragte sich, ob Leo beunruhigt wäre, wenn er entdeckte, daß sie nicht zu Hause war. Vorausgesetzt, daß er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, sie zu besuchen.
    Der Gedanke an ihn ließ sie den provisorischen Hebel heftiger drücken. Auf jeden Fall hatte er keinerlei Anstalten gemacht, ihr heute seine Aufwartung zu machen. Sie hatte nicht einmal einen Strauß Blumen von ihm bekommen.
    Das alte Metall stöhnte. Staub vom zerbröckelndem Mörtel stieg in einer Wolke auf.
    Man möchte meinen, daß ein Gentleman zumindest die Zeit finden könnte, eine Dame an dem Tag zu besuchen, nach dem er sie wild und leidenschaftlich geliebt hatte, dachte Beatrice. »Mrs. Poole, ich glaube, Ihr macht Fortschritte.«
    »Ja, ich denke schon.« Sie zwang sich zur Konzentration. Später war noch Zeit genug, um sich mit ihren Gefühlen für Leo auseinanderzusetzen. Diese Emotionen, so stürmisch sie auch waren, hatten nichts mit dem Grund zu tun, weshalb sie so begierig war, diesen Raum zu verlassen.
    Die ungesunde Atmosphäre schien sich zu verdichten. Je länger sie hier unten war, desto bewußter wurde sie sich ihrer. Sie spürte eine intensive, wachsende Kälte, die sich hinter den Schatten außerhalb der Reichweite der Kerzenflamme sammelte. Sie hätte schwören können, daß sie von einigen der Kunstgegenstände in den Vitrinen ausging.
    Beherrsch dich, Beatrice, deine Fantasie geht mit dir durch. Ihr kam der Gedanke, daß sie vielleicht einen Schauerroman zuviel geschrieben hatte.
    Leo durchsuchte rasch und methodisch Beatrice’ Schreibtisch. Die erste Schublade öffnete sich ohne Widerstand. Er durchforstete den Inhalt: ein ordentlicher Stapel leeres Papier, eine Schere und zwei alte Federläppchen.
    Er knallte die Schublade zu und öffnete die nächste. Da war wieder ein Stapel Papier, aber diese Seiten waren nicht leer. Jede war mit Reihen eleganter Schrift bedeckt. Ohne zu überlegen las er ganz automatisch die ersten Zeilen auf dem obersten Blatt.
    Der gräßliche Dunst stieg von der Oberfläche eines brodelnden Teichs auf und erfüllte die Grabkammer.

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