Im Sturm erobert
Eine
grausige Gestalt bildete sich im Herzen des seltsam leuchtenden Nebels. Sie nahm langsam Form an, enthüllte zuerst eine klaffende Höhle von Mund und dann zwei riesige Augen, die wie Höllenflammen brannten...
»Wie ich sehe, hast du deinem Liebhaber einige Geheimnisse vorenthalten, meine Süße.« Leo schloß die Schublade und sah nachdenklich auf die drei ledergebundenen Bände auf einem Regal. Der Name des Autors war in Gold eingestanzt. York. »Soviel zu meiner guten Beobachtungsgabe.«
Er zog heftig an der nächsten Schublade. Sie bewegte sich nicht. Nächstes Mal werde ich nicht vergessen, meine Dietriche mitzubringen, wenn ich zu Besuch komme, meine Liebe. Er hielt sich nicht mit der Suche nach einem Schlüssel auf, sondern stemmte einfach einen Fuß gegen die Schreibtischkante und riß heftig an dem Griff.
Das winzige Schloß gab sofort nach, und die Schublade öffnete sich. Leo warf einen Blick hinein und sah Stifte, Tintenfässer, ein Lineal und einen ordentlich gefalteten Brief.
Er öffnete ihn und las ihn rasch durch. Dann warf er einen Blick auf das T. darunter.
»Verflucht. Mrs. Cheslyn!«
Die Haushälterin erschien in der Tür. »Ja, Mylord? Stimmt etwas nicht, Mylord?«
»Ja. Da ist etwas ganz gehörig faul. Eure dämliche Herrin ist allein in Trulls Museum gegangen.« Er zerknüllte den Brief und warf ihn beiseite. »Ich werde sie holen.«
»Ich verstehe, Sir.« Mrs. Cheslyn warf ihm einen resignierten Blick zu. »Wird es irgendwelche Änderungen im Zeitplan geben?«
»Ja. Öffnet eine Flasche Brandy und haltet sie bereit, wenn ich mit Mrs. Poole zurückkomme. Etwas sagt mir, daß ich sie brauchen werde.«
»Ich schwöre, Ihr seid eine Inspiration für mich, Mrs. Poole.« Saltmarsh kletterte ungeschickt in den breiten Stein-tunnel, der sich hinter dem Gitter befunden hatte. »Mir ist noch nie eine Frau von so ungewöhnlichem Mut und großer Entschlossenheit begegnet. Ihr seid das lebende Abbild einer Eurer Heldinnen.«
»Danke, Mr. Saltmarsh, aber ich versichere Euch, es hat nicht sonderlich viel Mut gekostet, sich für diesen Fluchtweg zu entscheiden, bei der Aussicht, die Nacht in diesem gräßlichen Raum zu verbringen.«
Beatrice richtete sich auf und hielt die Kerze über ihren Kopf. Der uralte Gang war überraschend geräumig. Eher ein Tunnel als ein Luftschacht, dachte sie.
»Ich verstehe natürlich Eure Besorgnis. Man darf nicht einmal daran denken, was es für Folgen gehabt hätte, wenn man uns morgen früh dort zusammen entdeckt hätte.« Saltmarsh stand auf und nieste heftig. »Verzeihung.« Er zog ein großes weißes Taschentuch aus seiner Tasche. »Der Staub.«
»Ja, er ist ziemlich dick hier, nicht wahr?« Beatrice sah hinunter auf die unberührte Schicht von Dreck und Unrat, die sich auf dem Boden angesammelt hatte. »Ich glaube, hier ist schon seit sehr langer Zeit niemand mehr entlanggekommen.«
Saltmarsh studierte mit einem Ausdruck der Verwunderung ihre Umgebung. »Ein Geheimgang. Wahrscheinlich vor Jahrhunderten gebaut und dann versiegelt und vergessen. Es ist genau wie aus einem Eurer Romane. Erinnert Ihr Euch an die Szene in Das Gespenst von Mallory Hall, in der die Heldin eine Geheimtür öffnet und sich in einem verborgenen Gang wiederfindet?«
»Natürlich erinnere ich mich daran, ich hab sie geschrieben.« Beatrice begann den Gang entlangzugehen. »Kommt, Mr. Saltmarsh. Nicht trödeln.«
»Ich nehme an, wir müssen damit rechnen, ein paar Ratten zu begegnen«, sagte er niedergeschlagen.
»Ich hoffe nicht, ich setze nie Ratten in meinen Romanen ein, denn meiner Meinung nach steuern sie nichts dazu bei, die Atmosphäre interessanter zu machen.«
Leo war an Trulls Museum angelangt und mußte feststellen, daß es bereits für die Nacht geschlossen war. In der Hoffnung, einen Türsteher zu alarmieren, ging er die Treppe hinauf und hämmerte gegen die Eingangstür. Niemand reagierte.
Er überlegte seinen nächsten Schritt. Ein unangenehmes Gefühl von Angst stellte ihm die Nackenhaare auf. Der Nebel wurde rasch dichter und verbannte das wenige Licht, das vom Tag noch blieb.
Es war möglich, daß Beatrice bereits sicher auf dem Heimweg war, auf einer anderen Route als der, die er genommen hatte. Er sah sich schon in ihr Haus zurückrennen, nur um festzustellen, daß sie mit einer Tasse Tee in der Hand gemütlich vor dem Feuer saß.
Aber was, wenn sie nicht zu Hause war?
Er ging langsam die Museumstreppe hinunter. Er hatte ein ungutes Gefühl.
Als
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