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Im Sturm: Thriller (German Edition)

Im Sturm: Thriller (German Edition)

Titel: Im Sturm: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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fragten sie sich insgeheim, was diese Elite dort oben zu essen bekam? Bis vor einem knappen Jahr hatte Sergetow den Parteibezirk Leningrad geführt und sich von seinen Untergebenen die Klagen der Bürger, die Schlange standen, um Brot, Zahnpasta oder Schuhe zu ergattern, genau wiedergeben lassen. Obwohl er auch damals schon von der harschen Realität des Lebens in der Sowjetunion abgeschirmt war, hatte er sich oft gefragt, ob nicht eines Tages der Durchschnittsarbeiter seine schwere Bürde nicht mehr würde tragen wollen. Hatte er das damals prophezeien können? Nein. Und heute? Ebenfalls nicht. Und diese alten Männer hier wußten erst recht nicht, was das Volk empfand.
    Das Volk – narod nannten sie es, ein maskulines Substantiv für die Massen, die gesichtslosen Männer und Frauen, die sich Tag für Tag in Fabriken und Kolchosen abrackerten und ihre Gedanken hinter lächelnden Masken verborgen hielten. Die Mitglieder des Politbüros redeten sich ein, die Arbeiter und Bauern neideten ihnen den mit der schweren Verantwortung einhergehenden Luxus nicht. Immerhin hatten sich die Lebensumstände im Lande meßbar verbessert. Das war die stillschweigende Übereinkunft zwischen Volk und Führung. Doch diese Abmachung sollte nun gebrochen werden. Was würde geschehen? Nikolaus II. hatte keine Antwort auf diese Frage gewußt. Diese Männer kannten sie.
    Der Verteidigungsminister brach das Schweigen. »Wir müssen mehr Öl beschaffen. So einfach ist das. Die Alternative wäre eine gelähmte Volkswirtschaft, hungrige Bürger und reduzierte Verteidigungsbereitschaft. Die Konsequenzen sind nicht akzeptabel.«
    »Wir können uns das Öl nicht leisten«, wandte ein Kandidat ein.
    »Dann holen wir es uns eben.«

Fort Meade, Maryland
    Bob Toland zog die Stirn kraus und musterte die Scheibe Gewürzkuchen. Solltest dir den Nachtisch verkneifen, sagte sich der Analytiker von der nationalen Sicherheitsbehörde NSA. Na ja, sind nur zweihundert Kalorien. Fünf Minuten länger auf dem Trimmfahrrad, wenn du heimkommst, dann ist alles wieder im Lot.
    »Was meinen Sie zu diesem Zeitungsartikel, Bob?« fragte ein Kollege.
    »Die Sache mit dem Ölfeld?« Toland sah sich den Anstecker des Mannes noch einmal an und stellte fest, daß seine Sicherheitseinstufung den Zugang zu Satelliteninformationen ausschloß. »Muß ja ein schönes Feuerchen gewesen sein.«
    »Haben Sie denn noch nichts Offizielles gesehen?«
    »Sagen wir, daß die Presse von einer Quelle informiert wurde, deren Sicherheitseinstufung höher ist als meine.«
    »Streng geheim – an die Presse?« Beide lachten.
    »So ungefähr. Dem Reporter lagen Informationen vor, die ich noch nicht zu Gesicht bekommen habe«, meinte Toland fast wahrheitsgemäß. In seiner Abteilung spekulierte man, wie der Russe den Brand so schnell gelöscht hatte. »Sollte den Russen aber nicht zu viel ausmachen. Ist ja nicht wie bei uns, wo jeden Sommer Millionen von Autofahrern auf den Straßen sind.«

Moskau
    Das Politbüro trat am nächsten Morgen um halb zehn zusammen. Der Himmel vor den Doppelfenstern war grau und schneeverhangen. Heute abend fahren sie im Gorki Park Schlitten, dachte Sergetow. Die Moskowiter würden lachen, trinken und sich amüsieren, ohne zu ahnen, was hier beschlossen werden, welche Wendung ihr Leben nehmen sollte.
    Nun hatte sich nur der fünfköpfige Verteidigungsrat versammelt. Sergetow sah den Generalsekretär an, den »jungen« Mann, der nach westlicher Meinung das Heft in der Hand hatte. Sein Aufstieg an die Parteispitze war für viele, darunter auch Sergetow, eine Überraschung gewesen. Im Westen setzt man noch immer so große Hoffnungen in ihn wie einst wir, dachte Sergetow. Sein Eintreffen in Moskau hatte das radikal geändert. Wieder ein zerbrochener Traum. Der Mann, der jahrelang munter einen landwirtschaftlichen Fehlschlag nach dem anderen überspielt hatte, ließ nun seinen Charme in einer weiteren Arena los. Jeder am Tisch mußte zugeben, daß er sich gewaltig anstrengte, doch die Aufgabe war unlösbar. Um an die Spitze zu kommen, hatte er zu viele Kompromisse mit der alten Garde schließen müssen. Selbst die »jungen« Männer von fünfzig und sechzig, die von ihm ins Politbüro geholt worden waren, hatten ihre Bindungen zum alten Regime. Geändert hatte sich im Grunde nichts.
    Seit Chruschtschow war kein Mann mehr allein an der Macht gewesen. Einzelherrschaft barg Gefahren, an die sich die ältere Generation in der Partei nur zu gut erinnern konnte. Die Jungen

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