Im Sturm: Thriller (German Edition)
hatten die Geschichten von den großen Säuberungen unter Stalin oft genug gehört und sie sich zu Herzen genommen, und auch bei der Armee wußte man noch, was Chruschtschow mit ihrer Hierarchie angestellt hatte. Im Politbüro ging es wie im Dschungel nur ums Überleben, und kollektive Führung bedeutete kollektive Sicherheit. Der Generalsekretär hatte Zugeständnisse machen müssen, um auf seinen Sessel zu kommen, und weitere waren unvermeidlich, wenn er ihn behalten wollte. Die wahren Machtblöcke waren amorph, Loyalitäten verschoben sich mit den Begleitumständen und wurden nur von Zweckdienlichkeit bestimmt. Wirkliche Macht hatte nur die Partei.
Die Partei herrschte über alles, war aber nicht länger Ausdruck des Willens nur eines Mannes, sondern in Interessengruppen aufgesplittert, die hier von zwölf Männern vertreten wurden. Einer sprach fürs Militär, andere für KGB und Schwerindustrie, einer sogar für die Landwirtschaft. Jeder Interessenvertreter übte auf seine Weise Macht aus und verbündete sich mit anderen, um seine Stellung zu sichern. Der Generalsekretär hatte versucht, das durch die Ernennung seiner eigenen Leute zu ändern; aber würde er wie seine Vorgänger lernen, daß Loyalität an diesem Tisch nicht von Dauer war? Solange er seine Leute nicht plaziert hatte, war er primus inter pares in einer Gruppe, die ihn ebenso leicht stürzen konnte wie Chruschtschow.
»Genossen«, begann der Verteidigungsminister, »die Sowjetunion braucht Öl, und zwar mindestens zweihundert Millionen Tonnen mehr, als sie fördert. Dieses Öl existiert nur wenige hundert Kilometer von unserer Grenze entfernt im Persischen Golf – mehr Öl, als wir je brauchen werden. Selbstverständlich sind wir in der Lage, diese Felder innerhalb von zwei Wochen mit Luftlandetruppen einzunehmen. Leider aber wäre eine heftige Reaktion des Westens unvermeidlich, denn diese Felder versorgen Westeuropa, Japan und zu einem gewissen Grad auch die USA. Der Nato fehlen die Mittel, sie mit konventionellen Waffen zu verteidigen. Die Amerikaner haben ihre schnelle Einsatztruppe RDF, eine leere Hülse aus Hauptquartieren und leichtbewaffneten Truppen. Selbst mit Hilfe ihres vorgeschobenen Ausrüstungsdepots auf Diego Garcia könnten sie unsere Luftlande- und Panzertruppen nicht aufhalten. Bei dem Versuch würden ihre Elitetruppen binnen weniger Tage überwältigt und vernichtet, und dann bliebe ihnen nur eine Alternative: Kernwaffen – ein Risiko, das wir nicht unbeachtet lassen dürfen. Zum Beispiel wissen wir genau, daß amerikanische Kriegspläne für diesen Fall den Einsatz von Atomwaffen vorsehen. Solche Waffen lagern in großen Mengen auf Diego Garcia. Aus diesem Grund müssen wir vor der Eroberung des Persischen Golfes die Nato als militärischen und politischen Faktor ausschalten.«
Sergetow setzte sich in seinem Ledersessel kerzengerade auf. Was hatte er da gehört? Er wahrte nur mit Mühe eine teilnahmslose Miene, als der Verteidigungsminister fortfuhr.
»Ist die Nato erst einmal vom Tisch, findet sich Amerika in einer merkwürdigen Lage. Es kann nämlich seinen Energiebedarf in der westlichen Hemisphäre decken, ohne die bei den amerikanischen Juden nicht gerade beliebten arabischen Länder verteidigen zu müssen.«
Glaubt ihr das denn selbst? fragte sich Sergetow, glaubt ihr denn wirklich, daß die Vereinigten Staaten untätig bleiben?
Zumindest ein Mann teilte seine Besorgnis. »Wir brauchen also nur Westeuropa zu erobern, Genosse?« fragte ein Kandidat. »Sind das nicht jene Länder, vor deren konventionellen Streitkräften Sie uns jedes Jahr warnen? Alljährlich hören wir von der Bedrohung, die die massierten Nato-Armeen darstellen, und jetzt sagen Sie so leichthin, wir müßten sie besiegen? Verfügen Großbritannien und Frankreich denn nicht über ihre eigenen Nukleararsenale, Genosse Minister? Und warum sollte Amerika nicht seiner Bündnisverpflichtung nachkommen und Kernwaffen zur Verteidigung der Nato einsetzen?«
Sergetow fand es überraschend, daß ausgerechnet ein Kandidat diese Themen so rasch zur Sprache gebracht hatte. Noch mehr überraschte ihn, daß der Außenminister darauf antwortete. Wieder ein Teil des Puzzles. Doch was meinte das KGB dazu? Warum war es hier nicht vertreten? Sein Vorsitzender erholte sich von einer Operation, doch es hätte jemand anwesend sein sollen – es sei denn, die Angelegenheit war gestern abend bereits abgeklärt worden.
»Aus naheliegenden Gründen müssen unsere
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