Im Sturm: Thriller (German Edition)
das Volk erhob sich, um unter Führung des anfangs zögerlichen Fürsten von Nowgorod, Alexander Newski, die Eindringlinge zurückzuschlagen: Wstawaitje, ljudi russkije/na slavni boi, na smjertni boi ...
»Donnerwetter!« Toland setzte sich auf. »Die neue Version klingt sehr schmissig!« Die Tonqualität war trotz leichter Übertragungsstörungen fast perfekt.
Steh auf, russisches Volk, zum gerechten Kampf bis auf den Tod: Steh auf, du tapferes freies Volk, verteidige unsere schöne Heimat!
Toland stellte fest, daß »Rußland« oder »russisch« über zwanzigmal vorkamen.
»Sonderbar«, merkte er an, »davon will man doch eigentlich loskommen. Die Sowjetunion soll eine glückliche Völkerfamilie sein und kein neues Russisches Reich.«
»Eine Laune der Geschichte«, kommentierte Lowe. »Stalin gab den Film in Auftrag, um die Bevölkerung vor den Nazis zu warnen.«
Die Entscheidungsschlacht wurde auf dem gefrorenen Peipus-See geschlagen. Die Ordensritter griffen in Keilformation an, die Russen unter Newski reagierten mit dem Versuch einer doppelten Umfassung ä la Cannac. Dann folgte der unvermeidliche Zweikampf der Feldherren, den Fürst Alexander für sich entschied, und daraufhin gerieten die Reihen der Deutschen ins Wanken. Als sie versuchten, sich am Rande des Sees zum Gegenangriff zu formieren, brach das Eis, und fast alle ertranken.
»Welcher Idiot stellt sich mit einer halbe Tonne Blech am Leib auf einem zugefrorenen See zur Schlacht?« stöhnte Toland.
»Die Schlacht fand 1242 tatsächlich so statt«, erklärte der Colonel. »Genau 700 Jahre vor Stalingrad...«
Am Schluß befreite Alexander das besetzte Pskow und beschwor in einer Rede das Schicksal, das jedem Angreifer Rußlands droht.
»Dieser Newski ist wohl Stalin nachempfunden, oder?«
»Da ist etwas dran«, stimmte Lowe zu. »Die starke, einsame Vaterfigur. Wie auch immer, Alexander Newski ist wohl der beste Propagandafilm aller Zeiten.« Lowe holte einen Pappkarton unter seinem Schreibtisch hervor und begann, seine Sachen einzupacken. »Ein nützlicher Abend. Falls Krieg möglich ist, sollte man so viel wie möglich über den Gegner in Erfahrung bringen.«
»Glauben Sie denn, daß es Krieg gibt?«
Lowe zog die Stirn kraus. »Davon habe ich seit Vietnam die Nase voll – aber dafür werden wir schließlich bezahlt.«
Toland stand auf und reckte sich. »Colonel, es war angenehm, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Viel Glück bei Ihrem neuen Regiment.«
»Ganz meinerseits. Besuchen Sie mich doch einmal in Lejeune.«
Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, ging Toland zu seinem Wagen und fuhr rasch über den Interstate Terminal Boulevard zum Interstate Highway 64. Unterwegs tauchten immer wieder Szenen aus Eisensteins Film vor seinen Augen auf, besonders die gräßliche, in der ein Ordensritter mit dem Kreuz am Gewand in Pskow einer Mutter das Kind von der Brust reißt und es in die Flammen wirft. Wen brachte so etwas nicht auf? Kein Wunder, daß das mitreißende Lied Steh auf, russisches Volk jahrelang beliebt gewesen war. Manche Szenen schrien geradezu nach blutiger Rache. Bald summte er Prokofiews feurigen Ruf zu den Waffen vor sich hin. Bist ein richtiger Geheimdienstoffizier, dachte Toland und lächelte. Denkst wie die Leute, die du studieren sollst ... verteidige unsere schöne Heimat... sa naschu sjemlju tschestnuju!
»Wie bitte?« fragte eine Frau verdutzt.
Toland schüttelte den Kopf. Hatte er denn laut gesungen? Mit einem verlegenen Lächeln händigte er die fündundsiebzig Cent Maut für den Straßentunnel aus. Was sollte diese Frau von einem amerikanischen Marineoffizier halten, der auf russisch vor sich hin sang?
Moskau
Kurz nach Mitternacht fuhr der Laster über die Kemenny-Brücke und auf den Borowizkaya-Platz und bog dann nach rechts ab zum Kreml. Am ersten Kontrollposten hielt der Fahrer an. Die Papiere waren natürlich in Ordnung, sie wurden durchgewinkt. Auch an der zweiten Kontrolle ging alles glatt. Nun waren es nur noch fünfhundert Meter zum Lieferanteneingang des Ministerratsgebäudes.
»Was haben Sie denn um diese Tageszeit abzuliefern, Genosse?« fragte ein Hauptmann der Roten Armee.
»Reinigungsmittel. Hier, ich will sie Ihnen zeigen.« Der Fahrer stieg aus und ging langsam hinter den Laster. »Nachtdienst muß angenehm sein, wenn alles so friedlich ist.«
»Wohl wahr«, stimmte der Hauptmann zu. Noch neunzig Minuten, dann wurde er abgelöst.
»Bitte sehr.« Der Fahrer zog die Plane beiseite. Auf
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