Im Sturm: Thriller (German Edition)
seinem Sohn ein so großes Geheimnis anvertraut hatte. Doch er war erleichtert, weil er den Mann richtig eingeschätzt hatte; ihm konnte man trauen. Auch seinem Sohn? Michail Eduardowitsch schien jedenfalls dieser Meinung zu sein.
»Genosse Hauptmann, vergessen wir diese Dinge. Wir haben auch so schon genug Beschäftigung. Abtreten.«
Bonn
»Das Ganze ist eine Farce«, meldete Weber vier Stunden später dem Bundeskanzler. Er war mit dem Hubschrauber nach Bonn geflogen. »Ein brutales Täuschungsmanöver.«
»Das wissen wir auch«, versetzte der Kanzler, der nach dem Ausbruch der Krise zwei schlaflose Nächte verbracht hatte, gereizt.
»Herr Bundeskanzler, der Mann im Krankenhaus ist ein Andrej Iljitsch Tschernjawin. Vor zwei Wochen reiste er mit gefälschten Papieren aus der CSSR ein. Er ist Offizier der sowjetischen Elite-Kommandotruppe Speznas. Der Mann wurde bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt und hatte die kompletten Pläne der Nato-Fernmeldezentrale Lammersdorf bei sich. Die Sicherheitsposten der Einrichtung wurden gerade vor einem Monat verlegt. Dieses Dokument hier ist erst zwei Wochen alt. Er hatte auch einen Dienstplan und eine Liste aller wachhabenden Offiziere – und die ist erst drei Tage alt! Zusammen mit einem zehnköpfigen Team kam er über die tschechische Grenze und erhielt erst jetzt den Einsatzbefehl: am Tag nach Erhalt der Order um Mitternacht den Stützpunkt angreifen. Es lag auch ein Stornierungssignal bei für den Fall, daß die Pläne geändert werden.«
»Er kam also schon vor der Explosion im Kreml nach Deutschland –« Der Kanzler, der die ganze Affäre unwirklich fand, war verdutzt.
»Genau, Herr Bundeskanzler. Es paßt alles zusammen. Die Russen werden Deutschland angreifen, aus welchem Grund auch immer. Alle Schachzüge bis zu diesem Punkt waren nur Täuschungsmanöver, um uns in Sicherheit zu wiegen. Hier ist das komplette Protokoll der Vernehmung Tschernjawins. Er ist über vier weitere Speznas-Operationen informiert, die alle auf einen Großangriff gegen uns hinweisen. Inzwischen liegt er unter schwerer Bewachung im Militärlazarett in Koblenz. Wir haben auch eine Videoaufnahme seines Geständnisses.«
»Kann das nicht alles eine russische Provokation sein? Warum brachte man diese Dokumente nicht mit, als man die Grenze überschritt?«
»Nach dem Umbau der Einrichtung in Lammersdorf brauchte man korrekte Informationen. Wie Sie wissen, wurden seit vergangenem Sommer die Sicherheitsmaßnahmen bei Fernmeldeanlagen der Nato verschärft, und unsere russischen Freunde haben wohl ebenfalls ihre Angriffspläne auf den neuesten Stand gebracht. Die Tatsache allein, daß sie über diese zum Teil erst wenige Tage alten Dokumente verfügen, ist erschreckend. Und zur Enttarnung des Mannes kam es –« Weber berichtete von dem Unfall. »Wir haben jeden Grund zu der Annahme, daß es sich um einen echten Unfall und keine Provokation handelte. Die Fahrerin, eine Madame Anne-Marie LeCourte, ist Modeagentin in Paris; eine unwahrscheinliche Tarnung für eine sowjetische Spionin. Und wozu auch das Ganze? Erwartet man von uns, daß wir nur auf diesen Zwischenfall hin die DDR angreifen? Erst beschuldigt man uns des Bombenanschlags im Kreml, und dann provoziert man uns? Nein, das ist unlogisch. Wir haben hier einen Mann, dessen Auftrag es war, durch Lahmlegung von Nato-Fernmeldeeinrichtungen eine sowjetische Invasion vorzubereiten. Herr Bundeskanzler, diese Daten müssen sofort ans Oberkommando der Nato gelangen. Im Augenblick observieren wir das konspirative Haus und erwägen, es zu stürmen. GSG-9 steht bereit, aber vielleicht sollte die Aktion besser nicht von uns allein, sondern von der Nato durchgeführt werden.«
»Ich muß mich erst mit dem Kabinett beraten und dann mit dem Präsidenten der USA und anderen Nato-Regierungschefs telefonieren.«
»Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler, dazu ist keine Zeit mehr. Mit Ihrer Genehmigung werde ich Kopien des Videobands an den CIA-Verbindungsoffizier und auch an die Briten und Franzosen weitergeben. Die Russen werden uns angreifen, das steht fest. Alarmieren wir also zuerst die Nachrichtendienste und lassen sie das Fundament für Ihre Konsultationen mit dem Präsidenten und anderen legen. Wir müssen sofort handeln, Herr Bundeskanzler. Hier geht es um Sein oder Nichtsein.«
Der Kanzler starrte auf seinen Schreibtisch. »Einverstanden. Was fangen wir mit diesem Tschernjawin an?«
Weber hatte bereits Schritte eingeleitet. »Er ist den bei dem
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