Im Sturm: Thriller (German Edition)
Nebeneffekte haben wird, deren Ausarbeitung den Rahmen dieser Studie sprengen würde. (Auftragsspezifikationen schlossen die Untersuchungen bio-ökologischer Effekte eines C-Schlagabtausches ausdrücklich aus. Der Leser muß darauf hingewiesen werden, daß die weitreichenden Auswirkungen leichter zu studieren als zu beseitigen sind. Es mag beispielsweise erforderlich sein, erst einmal zu Tonnen Insektenlarven zu importieren, ehe in Europa auch nur die widerstandsfähigste Feldfrucht wieder gedeihen kann.) Im Augenblick kann die Fähigkeit selbst organisierter Armeen, die Leichen von Millionen Zivilisten in einem fortgeschrittenen Zustand der Verwesung zu entsorgen, nicht einfach vorausgesetzt werden. Darüber hinaus würden die zur Wiederau fnahme der Industrieproduktionen erforderlichen Zivilisten im wahrsten Sinne des Wortes dezimiert.
Eine Analyse der Auswirkungen der chemischen Kriegsführung
im europäischen Operationsgebiet unter Berücksichtigung
hochgerechneter atmosphäriscber Freisetzungswerte.
Lawrence-Livermore National Laboratories
LLNL 88-2504 + CR 8305/89/178
SIGMA 2
Intern
+ + + GEHEIM + + +
Johannes Bitner warf den Bericht nicht in den Papierkorb, aber er hatte das Bedürfnis, sich die Hände zu waschen. Mal wieder eine Ähnlichkeit zwischen Ost und West, dachte er kalt: Klingt wie von Wortprozessoren verfaßt. Genau wie bei uns.
»Genosse Generaloberst.« Der Staatsratsvorsitzende sah zu dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte auf. Der Offizier hatte ihm zusammen mit einem Kollegen – und in Zivil – das Dokument, das erst vor zwei Tagen von einem im westdeutschen Verteidigungsministerium hochplazierten DDR-Spion beschafft worden war, in seine Dienstvilla in Wandlitz bei Berlin gebracht. »Und wie genau ist dieses Dokument?«
»Genosse, wir können die Computermodelle der Amerikaner natürlich nicht überprüfen, aber die Formeln beziehungsweise Einschätzungen der Wirksamkeit sowjetischer Kampfstoffe und der Witterungsverhältnisse sind von unserem Geheimdienst und ausgewählten Fakultätsmitgliedern der Universität Leipzig geprüft worden, und es besteht kein Anlaß zu Zweifeln an seiner Echtheit.«
»Die Amerikaner haben sogar die Gesamtmenge der zum Einsatz kommenden Kampfstoffe unterschätzt«, warf Oberst Mellethin, Direktor der Analyse Ausland, ein. Er war ein hagerer, strenger Mann, dessen Augen deutlich verrieten, daß er seit langem nicht geschlafen hatte. »Sie überschätzen nämlich die Treffgenauigkeit der russischen Einsatzmittel.«
»Sonst noch etwas, Mellethin?« fragte Bitner scharf.
»Genosse, was ist das Kriegsziel der Russen?«
»Die Neutralisierung der Nato und Zugang zu erweiterten wirtschaftlichen Kapazitäten. Bitte äußern Sie sich, Genosse Oberst«, befahl Bitner.
»Genosse, ein Erfolg des Warschauer Paktes könnte ein wiedervereinigtes Deutschland bedeuten. Ich möchte betonen, daß ein vereinigtes Deutschland, auch ein sozialistisches, von der Sowjetunion als strategische Bedrohung angesehen werden würde.« Mellcthin atmete tief durch, ehe er fortfuhr. Setzte er nun sein Leben aufs Spiel? »Genosse Staatsratsvorsitzender, ein sowjetischer Erfolg würde das kapitalistische und das sozialistische Deutschland in eine Mondlandschaft verwandeln. Mindestens zehn bis dreißig Prozent unserer Bevölkerung tot, das Land auch bei Ausbleiben eines westlichen Vergeltungsschlages verseucht. Wir haben heute erfahren, daß die Amerikaner C-Bomben vom Typ ›Bigeye‹ über den Luftstützpunkt Ramstein einzufliegen beginnen. Wenn unsere Alliierten ihre chemischen Waffen einsetzen und sich die Nato revanchiert, ist nicht ausgeschlossen, daß unser Land, die deutsche Kultur, aufhören wird zu bestehen. Unter militärischen Gesichtspunkten ist ein solches Ziel nicht vertretbar, aber ich möchte die Vermutung äußern, Genosse, daß es sich um ein zusätzliches politisches Ziel des russischen Plans handeln könnte.«
Bitner blieb ungerührt, und seine Gäste konnten nicht ahnen, daß ihn ein eiskalter Schauer überlief. Das Treffen der letzten Woche in Warschau war schon beunruhigend genug gewesen, aber nun sah er die Motive hinter den Versicherungen der sowjetischen Führung allzu deutlich vor sich.
»Und es besteht keine Möglichkeit, unsere Zivilbevölkerung zu schützen?« fragte Bitner.
»Genosse.« Der General seufzte. »Diese Kampfstoffe brauchen nicht eingeatmet zu werden, sondern wirken auch durch Hautkontakt. Wer eine kontaminierte Fläche berührt,
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