Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
Vom Netzwerk:
Frechette Park bekannt werden sollte.
    Marcel und Nathalie setzten jede Menge Kinder in die Welt. Diese machten für eine weitere Generation das Reisen auf dem Fluss zu einer gefährlichen Angelegenheit. Der Alte lebte immer weiter; um ihn herum kroch eine Stadt namens St. Bruno aus dem Boden, und im letzten Sommer seines vierundachtzigjährigen Lebens bekam er noch mit, wie die alten Frenchtown-Straßen mit rotem Kopfsteinpflaster ausgelegt wurden, die auch dem modernen Autoverkehr standhielten.
    Detective Rene Shade schaukelte nun auf der Beifahrerseite von Shuggie Zecks protzigem El Dorado über diese Holterdipolterstraßen. Shade hatte sich tief in den Sitz rutschen lassen und starrte durch die Windschutzscheibe stur geradeaus. Der Wagen raste an den rissigen Gehwegen vorbei, denjenigen Ecken von Frogtown, wo der Anarcho-Kapitalismus der dort Herumhängenden debattiert, gepriesen und praktiziert wurde. Elend war das Lesepult und der Ginrausch die Motivation für verschlungene, barsch formulierte Tiraden, und Shade und Shuggie waren damit aufgewachsen, hatten sich alles angehört und das meiste geglaubt. In dieser Sommeroffensive zäher Hitze und Feuchtigkeit fuhren der Cop und der Ganove in dem klimatisierten Schlitten durch die ramponierten Straßen, wo die Stützen der Demokratie in verschwitzten T -Shirts herumtorkelten, betrunken vor Verzweiflung oder high vor importierter Hoffnung, willige Opfer jeder Art von Handel und Wandel, der in Bargeld mündete.
    »Wie weit ist es bis Gumbo?«, fragte Shade.
    »Zwanzig Minuten«, antwortete Shuggie. »Es sei denn, es gibt Hochwasser.«
    Sie fuhren die Asphaltstraße nach Norden, parallel zum Fluss. Das Land war flach und morastig und mit undefinierbarem Grünzeug überwuchert. Da es wenig festen Boden gab, schlängelte sich die Straße in Kurven und Windungen durch das Marschland. Auf beiden Seiten des Asphalts war der Sumpf mit Wasserlilien bedeckt, die sich sanft auf und ab wiegten, als würde das Wasser atmen.
    »Shuggie, glaubst du, wir müssen diesem Arsch von Gillette die Hölle heißmachen?«
    »Falls wir ihn überhaupt finden.« Shuggie deutete auf das Handschuhfach. »Da drin ist ’ne Pulle Wodka – gib mir die mal, ja?«
    Shade öffnete das Handschuhfach.
    »Kirschwodka? Du trinkst immer noch Kirschwodka?«
    »Was dagegen?«
    »Nein, es ist nur ewig her, dass ich welchen getrunken habe.« Shade reichte Shuggie die Flasche. »Ich glaube, das war, als der Twist in Mode kam. Da hab ich das letzte Mal Kirschwodka getrunken.«
    »Ich bin stolz auf dich, dass du so erwachsen bist, Rene«, meinte Shuggie und schraubte den Deckel ab. Er trank einen ordentlichen Schluck. »Ich mag das süße Zeug. Da muss ich mich ja wohl nicht dafür entschuldigen.«
    Während der Wagen die schmale Straße entlangpreschte, dachte Shade an seinen Bruder François, den Staatsanwalt. Er fragte sich, ob sein kleiner Bruder Frankie ihn raushauen konnte, falls die Sache schiefging. Und irgendwie drehte der Gedanke an François die Zeit zurück, und Shade dachte an damals, als er zusammen mit François und Shuggie zu einem Abenteuer aufgebrochen war. Es war der vierzehnte Geburtstag seines großen Bruders Tip gewesen, und Shade, neun Jahre alt und sehr ernst, hatte ein Geschenk gesucht, das seines Idols würdig war. Tip war damals sein großes Vorbild gewesen – er hatte schon breite Schultern und kräftige Arme, und sein Ruf als Draufgänger war bereits über die Grenzen von Frogtown hinaus bekannt. Shade verehrte seinen Bruder, denn war es nicht so, dass sogar erwachsene, oft ziemlich hartgesottene Männer Tip respektvoll zunickten und einen Bogen um ihn machten? Wenn Tip, der so viele Schlagtechniken beherrschte, mit wiegenden Schritten in seinen Armeestiefeln mit den Stahlkappen durch die Straßen ging, war er für Rene und François und Renes Freund Shuggie ein leuchtendes Vorbild.
    Sie beobachteten oft, wie Tip auf dem Dach des Reihenhauses stand und mit seinen Tauben – ein erstaunliches Hobby für ein Idol! – alle möglichen Kunststücke vollführte. An jenem Geburtstag nun war es Shuggie, der für Rene das Geschenkproblem löste, indem er sagte: »Er findet doch die Vögel auf dem Dach so toll – ich weiß, wo wir welche herkriegen.«
    Der junge Isaac »Shuggie« Zeck führte die Expedition zur Ecke Second Street und St. Peter’s Cathedral, wo er sich an die verwitterten Backsteine lehnte und sagte: »Komm, klettern wir rauf.« Er klammerte sich an einer Regenrinne fest

Weitere Kostenlose Bücher