Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
dass du ’ne Kanone hast.«
»Und wenn sie’s nicht sind?«
»Tja – dann machen wir ’nen ziemlich guten Eindruck«, grinste Shuggie. »Und das ist ja bekanntlich das Wichtigste bei einer neuen Beziehung – der erste Eindruck.«
Ein paar Minuten später kamen sie an Häusern vorbei, die auf Pfählen standen, ein Zugeständnis an die regelmäßigen Überschwemmungen in der Gegend. Shuggie verlangsamte das Tempo vor einem gelben Haus aus dünnen, schiefen Holzbrettern. Davor war ein ungeteerter Platz, der so glatt war wie eine Anklagebank. Die Fenster sans Fliegengitter luden Fledermäuse und alle möglichen kleineren Störenfriede zur unsanften Landung ein.
»Sein Truck ist nicht hier«, sagte Shuggie. Er trat wieder aufs Gaspedal. »Wir fahren die Straße runter zum Boylin’ Kettle. Das ist die nächste Kneipe hier in der Gegend.«
Die Bar sah aus wie ein ganz normales Haus, bis auf den mit Kies bestreuten Parkplatz und das handgemalte Schild an einer Weihrauchkiefer, auf dem stand: The Boylin’ Kettle .
Shuggie parkte hinter einem erbsengrünen Truck mit hohen Geländerädern. Auf dem hinteren Stoßdämpfer war ein Aufkleber mit der Aufschrift: Cajuns treiben’s im Dunkeln .
»Das ist sein Pick-up«, sagte Shuggie. »Wir haben ihn.«
Shade überprüfte seine Pistole, denn er wusste, dass es hier draußen keine langweiligen, gesetzestreuen Bürger gab. Die hiesige Bevölkerung war durchsetzt von tabakkauenden Bisamrattenjägern, deren Arbeitsleben sich nach dem illegalen Spielmarkt, den Urlaubsplänen der St. Brunoer und denjenigen niedrigfliegenden internationalen Piloten richtete, die ihre bescheidenen Landebahnen in den Wäldern frequentierten.
»Wenn es mehr als sechs Cajuns sind«, sagte Shade, »dann lassen wir’s lieber und schnappen ihn uns allein. Ich hab hier draußen keinerlei rechtliche Handhabe.«
»Herrgott«, erwiderte Shuggie verächtlich. »Die Polizei dein Freund und Helfer, oder was? Du meine Güte!« Er griff unter den Vordersitz und holte eine gut gepflegte Flinte mit abgesägtem Lauf hervor. Während er Patronen in die Kammern lud, meinte er: »Mann, ich wette, dafür kannst du siebenundsiebzig feine Gerichte mit Thunfisch zubereiten, oder?«
In diesem Moment, als sein früherer und gegenwärtiger Rivale ihn fertigmachte, beschloss Shade, dass es Zeit war, auf die alten Straßenweisheiten zurückzugreifen. Großkotzigkeit, Beschimpfungen und ein paar Gramm Boshaftigkeit waren jetzt angesagt.
»Ich wär jetzt eigentlich im Urlaub«, erklärte er, »und vielleicht bin ich’s ja sogar. Wir tauschen.« Er hielt Shuggie seine Pistole hin. »Gib mir diese Kanone.«
»Warum?«
»Hey, Mann«, sagte Shade. »Du weißt, wie Gillette aussieht, und ich weiß es nicht. Das bedeutet, ich muss hinter dir bleiben und deinen Fettarsch decken. Eventuell ist in dieser Absteige hier ein ganzes Rudel Schweine, und ich möchte ’nen echten Ballermann in der Hand haben, wenn ich da reinstürme. Also, her mit der Flinte.«
Ein verkrampftes Grinsen erschien auf Shuggies Gesicht.
»Von mir aus, Mann«, sagte er, und sie tauschten.
Als sie ausstiegen, hatte sich Shade bereits in eine Personifizierung jener alten, hinterhältigen Straßenweisheiten verwandelt. Schultern zurück, Kinn hoch, Augen geradeaus, so ging er mit den ausholenden Schritten eines Schlägers auf die Tür zu. »So kenn ich dich«, meinte Shuggie, der im gleichen Gang, in der gleichen Haltung neben Shade herging. »Jetzt bist du wieder der alte Rene Shade. Mann – schön, dich wiederzusehen.«
Die Sonne stand hinter den hohen Zweigen der großen Bäume, die schöne Schatten auf sie warfen, als sie nun die drei Holzstufen zum Boylin’ Kettle hinaufgingen.
»Also los«, sagte Shade. »Wir putzen die weg wie ein Besen die Scheiße.«
Bobby Gillette sah aus wie ein Chorknabe, der sich seit zwanzig Jahren in den falschen Kreisen bewegt und Gefallen daran gefunden hatte. Die hellen Haare fielen ihm in weichen Wellen in die Stirn, und er hatte schwermütige braune Augen und schmale Lippen. Im Liegen hätte man an ihm genau zwei Meter Stoff abzumessen, aber als das unerfreuliche Paar zur Tür hereinplatzte, saß er gerade an dem runden Tisch in der Mitte des Zimmers, nuckelte an einem Michelob und las in einer Ausgabe von Outdoor Life .
»P’père«, sagte er zu dem alten Mann hinter der Bar. Dann erkannte er Shuggie und fügte hinzu: »Oh, pas de merde.«
Shuggie richtete die .38er-Dienstwaffe nach oben, sodass seine
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