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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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und kraxelte dann unverfroren die Kirchenmauer hoch, bis er einen Abschnitt erreichte, wo herausragende Steinornamente ihm wunderbar Halt gaben.
    Als die drei auf dem Dach zwischen den beiden Türmen angekommen waren, gingen sie die Regenrinne entlang und suchten nach Nestern. Sie gaben sich alle Mühe, nicht nach unten auf den Gehweg zu schauen, wo sie übel aufklatschen würden, wenn sie hinunterfielen. Scharen von Tauben flatterten über sie hinweg, jagten dahin wie aus einer Kanone geschossene Wolken, während die Jungen die Nester zur Seite traten und nur zwei wahrscheinlich taube Eier auftrieben. Sie steckten die Eier in eine braune Papiertüte, lehnten sich gegen die Schräge unter dem riesigen Kreuz und stemmten die Füße mit den Turnschuhen in die Dachrinne. Sie waren ratlos – zwei mickrige Eier waren eindeutig ein unzulängliches Geschenk für ihr Idol.
    Shuggie drehte den Kopf, spähte hierhin und dorthin, nach unten und nach oben, wo er auf dem Stück unterhalb des Kreuzes eine richtige Nesterkolonie entdeckte. Er machte die anderen darauf aufmerksam. »Geht nicht«, meinte Rene. Er hielt die Tüte mit den dürftigen Gaben in der Hand und maß die Entfernung hinauf zum Kreuz mit den Augen, diese Kletterpartie über das steile, rutschige Dach. »Unmöglich«, murmelte er. François, der kleine Bruder, zeigte stumm seine Zustimmung, indem er mit aufgerissenen Augen zu den Nestern hinaufschaute und dann den Kopf schüttelte.
    »Mann, gib mir die Tüte«, meinte Shuggie und riss sie Rene aus der Hand. Dann legte er los. Er kletterte rasch und gebückt, sein dicker Hintern wackelte bei jedem Schritt seiner kurzen Beine, und die Schnürsenkel seiner Stiefel hingen herunter. Rene verfolgte seine Bewegungen mit offenem Mund, und im Kopf sah er den einen entscheidenden Fehltritt vor sich – Shuggie würde ungebremst die Schräge hinunterrutschen, über den Dachrand, und er würde auf den Gehweg hinunterkrachen, als hätte ihn ein Riese vom Kirchturm gespuckt. Doch nein, Shuggie krabbelte blitzschnell die gefährliche Strecke hinauf, und seine Missachtung aller eventuellen Konsequenzen war richtig inspirierend. Er keuchte vor Anstrengung, sein Gesicht lief rot an, aber er erreichte die Nester und schnappte sich die Eier. Für den Abstieg setzte er sich auf die Ziegel, die Tüte neben sich, und rutschte zuerst ganz langsam nach unten, doch auf einmal streckte er die Füße in die Luft, lehnte sich nach hinten und beschleunigte das Tempo. Rene und François blieb gar nicht genug Zeit, um zu reagieren. Sie standen schockiert und reglos da und warteten darauf, von dem abwärtssausenden Shuggie mit in die Tiefe gerissen zu werden.
    Im letzten Moment bremste Shuggie mit den Füßen ab. »Ihr hättet eure Gesichter sehen sollen«, lachte er. Dann öffnete er die Tüte und inspizierte die erbeuteten Eier. »Kein einziges kaputt. Gehen wir.«
    Big Tip, das Geburtstagskind, wurde in der Voltaire Street gesichtet, vor dem Chalk & Stroke, wo er auf einer erhöhten Stelle an der Hauswand saß, umgeben von weniger wichtigen Ganoven. Rene ging mit der Tüte auf ihn zu und hielt sie ihm hin. »Alles Gute zum Geburtstag – von uns«, sagte er, wobei er auf François und Shuggie deutete. Tip blieb sitzen, streckte aber die Hand aus und nahm das Geschenk entgegen. Als er die Tüte öffnete, spähten Rudy Regot und Harky Gifford und Lou Pelitier über seine Schulter. Tip spuckte aus und machte die Tüte wieder zu. »Das sind Windeier«, sagte er, holte aus, als wollte er in der Umkleidekabine jemandem mit dem Handtuch auf den nackten Arsch klatschen, und knallte die Tüte auf den Boden. Dann hob er sie hoch und kippte den schleimigen Inhalt auf den heißen Gehweg, wo er einen Fleck hinterließ, der noch monatelang zu sehen war.
    Als Shuggie mit dem El Dorado von der geteerten Straße in einen Sandweg einbog, holte der Ruck Shade wieder in die Gegenwart.
    Er sah Shuggie an: »Haben wir ’nen Plan, Shug?«
    Shuggie wackelte mit dem Kopf, hielt jedoch den Blick stur auf den schmalen Sandweg gerichtet.
    »Wir machen’s nach der klassischen Methode«, antwortete er. »Mit gezogenen Knarren durch die Tür – und dann sehen wir, was passiert.«
    »Damit ist die Katastrophe vorprogrammiert«, meinte Shade.
    Shuggie stöhnte. Er griff zum Kirschwodka und gönnte sich einen kräftigen Schluck.
    »Mann, lass dir ein bisschen Mumm in die Knochen spritzen«, knurrte er. »Wenn das die Schweine sind, die wir suchen, dann wirst du froh sein,

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