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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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als Tatortkriterien unerlässlich waren, hätte das Zimmer jederzeit einen Preis in der Kategorie »gepflegteste Mordszenerie« bekommen. Das Einzige, was sich außer den blutigen Überresten von Alvin Rankin nicht an seinem Platz befand, war die Fernsehzeitung , die etwa einen halben Meter rechts von Rankins ausgestreckter Hand auf dem Boden lag.
    Während Blanchette darüber nachdachte, auf welche Möglichkeiten diese sparsamen Hinweise hindeuteten, öffnete sich die Tür zum Salon, und Captain Karl Bauer betrat das Arbeitszimmer, dicht gefolgt von einem Trupp des Morddezernats.
    Bauer war ein großer, vierschrötiger Mann, mit Haaren, deren Farbe an Karpfenschuppen erinnerte und die er aus Korpsgeist immer noch als Bürstenschnitt trug. Er hatte ein hartes Gesicht und harte Fäuste, aber viele seiner Untergebenen hielten ihn für einen inkompetenten Ermittler. Dass er ein begabter Politstratege war, konnte allerdings niemand leugnen, denn er wusste genau, mit wem er sich gutstellen musste.
    Captain Bauer ging an Blanchette vorbei und drehte ihm den Rücken zu.
    »Die Ehefrau und die Tochter sind bei den Nachbarn. Wilkes, Nummer 605. Wir sollten ihnen Zeit lassen, damit sie ’nen Whiskey oder ’nen Schluck Kaffee trinken können, dann holen wir sie.«
    »Einverstanden«, erwiderte Blanchette. »Hat sie was gesagt?«
    »Ich würd’s nicht für mich behalten, wenn sie was gesagt hätte, Detective. Sie kam aus dem Kino nach Hause – Jäger des verlorenen Schatzes – mit ihrer Tochter …« Er suchte in seinem Notizblock nach dem Namen der Tochter. »Janetha, siebzehn Jahre. Es war etwa elf Uhr fünfundvierzig.« Bauer klappte den Block wieder zu und verstaute ihn in der Brusttasche. »Ende der Befragung.«
    »Ich glaube, seine Brieftasche ist weg«, sagte Blanchette. »Sie ist nirgends zu sehen.«
    »Die Brieftasche? Jemand bricht ins Haus ein, erschießt ’nen Stadtratsabgeordneten mit Mercedes und chinesischen Vasen und nimmt dann nichts mit außer der Brieftasche? Verstehen Sie das? Den Rest des Hauses hat der Typ nicht mal betreten, wie’s aussieht.«
    »Tja«, meinte Blanchette. »Leute, die es nicht gewohnt sind, anderer Leute Hirn zu verspritzen, machen komische Sachen, wenn’s doch mal dazu kommt, Sir. Die Franzosen haben ein Wort dafür, aber das fällt mir jetzt nicht ein, also sag ich mal: Sie drehen durch.«
    »Das wäre möglich«, sagte Bauer. Er wandte sich den anderen Beamten im Zimmer zu, dirigierte sie mit ausgestreckten Armen und schnippte mit den Fingern. »An die Arbeit, Leute. Fariello, wir brauchen jede Menge Bilder«, sagte er zu dem Fotografen. Bauer hatte diese Szene schon in zahllosen Filmen gesehen und koordinierte die Aktionen der Mordkommission in einer unbewussten Filmheldenparodie.
    Blanchette beobachtete seinen Captain kopfschüttelnd und nickte jedes Mal mit seinem tripelkinnigen Mondgesicht, wenn er die Vorbilder in Bauers Verhalten erkannte. Das war Broderick Crawford. Ja, das Kläffen klang bekannt, da war eine ordentliche Portion Bogart drin. Der knallharte Blick wirkte, als könnte Matt Dillon damit bei zahllosen Wiederholungen ein Vermögen verdienen. Und wo blieb Kojak?
    Schließlich wandte sich Bauer wieder an Blanchette.
    »Wo ist Shade?«, wollte er wissen.
    »Ich bin diese Woche nicht der Shade-Aufpasser, Captain.«
    Bauer starrte auf ihn herunter. »Wissen Sie was, Blanchette? Dafür, dass Sie so klein sind, sind Sie extrem fett – hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?«
    »Keiner, der noch am Leben ist, Sir. Ein Gentleman würde so was ohnehin nicht sagen, das weiß ich aus ’nem Anstandsbuch.«
    »Sie sind ja ein richtig belesener Mann, Blanchette. Essen Sie doch noch ’nen Donut, dann sind Sie bald zwei.« Bauer ging zur Tür, hielt aber nochmals inne. »Ich gehe jetzt rüber zum Bürgermeister. Er möchte über die Sache informiert werden, rund um die Uhr. Wenn Shade endlich hier eintrudelt, sollten Sie beide mit der Ehefrau und der Tochter reden. Anschließend sehen wir uns in der Second Street.«
    »In Ordnung, Captain.«
    Im Vorzimmer zwischen Salon und Arbeitszimmer stand ein großer lederner Polstersessel. Blanchette ließ sich hineinfallen, zündete sich eine Zigarre an und wartete auf Shade. Während er rauchte, dachte er über Alvin Rankin nach. Etwa vierundvierzig, fünfundvierzig, ein Produkt von Pan Fry, dem traditionell schwarzen Stadtteil von Saint Bruno; gewitzt und hart und mit dem seltenen Talent, genau zu wissen, wem er drohen und wen er

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