Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
Spaltbreit, die Pistole schussbereit, dann riss er die Tür weit auf und trat hinaus und blickte auf Shuggie hinunter. Zu seinen Füßen lag Zeck auf dem Bauch und war schon tot. Ein faustgroßes Stück Schädeldecke hing wie an einem Scharnier an seinem Kopf und ein Strom von Blut und Gehirnmasse lief über seinen Rücken.
Ein paar Schritte entfernt stand Officer Tommy Mouton. Er deutete sich mit dem Daumen auf die Brust, und sein Gesicht war zu einem schrecklichen Grinsen verzerrt.
»Jetzt bin ich der große Killer«, rief er. »Sag das Mr. B. – nicht, dass du hier die Lorbeeren einheimst. Versuch das erst gar nicht. Ich bin jetzt die Nummer eins.«
Shade erstickte fast an seinem eigenen Atem. Er hob den Blick, und da sah er, hoch über ihnen allen, wie das erste Tageslicht vom Kreuz auf dem Kirchturm reflektiert wurde. Und als er von diesem schimmernden Punkt mit den Augen eine Linie zog, nach unten auf den blutigen Asphalt, sah es aus, als wäre Shuggie genau von dort oben heruntergestürzt, um so liegen zu bleiben.
Und im nächsten Augenblick zerrte Wanda Bone Bouvier, blutverschmiert und dreckig, an seiner Schulter. Als sie die Leiche sah, schnappte sie nach Luft und stöhnte: » O danke, lieber Gott, nur dieses eine Mal.«
JOHN X
Aus dem Amerikanischen
von Teja Schwaner
Für Katie und Leigh
»Ohne die Steine auf dem Grund könnte der Fluss kein Lied singen.«
Carl Perkins
Erster Teil
Criminentlies
1
Nachdem seine Frau das Geld des Gangsters geklaut und ihn dann sitzengelassen hatte, wollte sie ihm unbedingt noch mal unter die Nase reiben, was sie getan hatte, und schickte ihm deshalb einen Brief. John X Shade saß auf einem Hocker hinter der Bar im Hauptraum von Enoch’s Ribs and Lounge. Er hatte den grauen Kopf gebeugt und massierte sich mit schlanken tattrigen Fingern die Schläfen. Der Safe hinter ihm gähnte leer, und eine Flasche Maker’s Mark, Seelenheil aus saurer Maische, stand voll und versiegelt vor ihm auf der Theke.
Die schriftliche Nachricht, die Selbstmitleid in ihm wecken sollte und außerdem das Gefühl, sich in Gefahr zu befinden, wurde von seiner zehnjährigen Tochter Etta überbracht. Sie kam zur Seitentür herein, durch die mit Muscheln und Treibholz dekorierte Lounge, in der ihre Mutter die musikalische Unterhaltung bestritten hatte, bevor sie auf Diebstahl umgeschwenkt war. Das Mädchen trug ein pinkfarbenes Vinylköfferchen bei sich, auf dessen Deckel ein Reliefporträt von Joan Jett zu sehen war. Sie hatte dichtes schwarzes Haar, das auf eine Art geschnitten war, die ihre Mutter für hip hielt: die feminine Variante eines Bürstenhaarschnitts mit Rattenschwanzsträhnen, die ihr in den Nacken baumelten. Sie trug ein grünes Rettet-die-Seekühe - T -Shirt und ausgefranste Jeans, die kurz unterhalb der Knie abgesäbelt worden waren. Ein schwarzes Kruzifix aus Plastik pendelte an ihrem rechten Ohr. Eigentlich hieß sie Rosetta Tripp Shade, aber sie zog es vor, Etta genannt zu werden.
»Die Post«, sagte sie und schmiss den Brief auf die Bar direkt unter John X’ Kinn. Sie kletterte auf einen Hocker auf der anderen Seite des Bargeländers. »Sie hat gesagt, du sollst ihn lesen, und zwar pronto.«
Enoch’s war am frühen Abend noch ziemlich leer; erst spät in der Nacht füllten abgehalfterte Aufreißer von der Redneck Riviera den Schuppen und grasten ihn nach kessen demokratenfreundlichen Yankee-Tussis ab, deren nebensaisonale Touristenträume auf Vollzug hofften. So früh am Tag war noch nicht geöffnet, und daher waren die beiden allein. Die heiße Golfküstensonne knallte durch die geschwärzten Fensterscheiben und heizte den Laden auf. An den Wänden hingen Zettel, die bevorstehende Fischgrillfeste, Gospel-Shows und Zehn-Kilometer-Läufe für diverse Wohltätigkeitsorganisationen in Mobile ankündigten. Und dann waren da noch mehrere große Glamourfotos von Randi Tripp, dem »’Bama Butterfly«.
John X wollte gerade den Umschlag aufreißen, als ihm der Schweiß auf dem Gesicht seiner Tochter auffiel und er spürte, dass auch ihm die Rinnsale die Schläfen hinunterliefen. Er schob den glänzenden Deckel der Getränketruhe beiseite und sagte: »Bin zwar nicht König Faruk, aber ich spendier dir trotzdem ’ne Flasche RC .«
Etta grinste und griff sich die kalte Flasche Royal Crown Cola, die er auf sie zuschlittern ließ.
»Na ja, ich bin auch nicht Madonna«, sagte sie, »aber Durst hab ich trotzdem.«
Er öffnete den Umschlag und faltete den Brief auseinander.
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