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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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Er war auf gelbem Papier mit zartem Fliederduft geschrieben, und zum Lesen breitete er ihn flach auf der Theke aus.
    John X (kein »lieber« für Dich),
    für Dich ist in meiner Zukunft kein Platz frei. Ich habe mich entschieden, und zwar dafür, meinem Traum zu folgen, wie Du inzwischen ja gemerkt hast. Und wegen meinen Träumen lasse ich die einzigartige Etta bei Dir, denn es ist ein einsamer Weg, den ich zurücklegen muss bis hinauf an die Spitze. Hier bin ich immer nur Enoch Tripps Tochter, und viele sagen, dass ich nur deswegen so oft auftreten darf. Ich habe Talent! Mit meiner Stimme bekomme ich jeden Saal auch ohne die geringste Werbung randvoll. Mutter zu sein ist die eine Sache, aber was ist das im Vergleich zu den vielen Dingen, die der Gesang geben kann! Das weißt Du auch. Das Geld, das ich mir als zinslosen Kredit mitgenommen habe, um es in meine Träume zu investieren, ist nur das eines Killers. Was würde er je sinnvoll Gutes damit anstellen? Europa liebt Balladen von Amore und Pechsträhnen, und wenn jemand ein Lied davon singen kann, dann doch wohl ich! Mir ist schon klar, dass Lunch glaubt, das Geld gehört noch immer ihm, aber weg ist weg, und wer’s hat, der hat’s, und das bin nun mal ich. Du hast doch eine Engelszunge, also öle sie, und vielleicht glaubt Dir Lunch ja Deine Unschuldsbeteuerungen. Reich ist die Zeit, die mir bleibt. Enoch pfeift leider aus dem letzten Loch, und ich hab ihm Ciao gesagt.
    Randi
    P.S. Ich habe inzwischen ein Gespür für mein Schicksal. Und dies Gespür für mein Schicksal sagt mir, dass Du nirgends reinpasst. Junges Ding heiratet alten Mann – die alte Geschichte. Aber Etta wird wieder in mein Leben treten – ich werd sie mit einem Lear-Jet zu mir holen lassen und dorthin bringen, wo die Nächte süßer sind als süß und voller Musik. Könnte doch sein, dass das ihr eines Tages so gut gefallen wird wie mir.
    John X zerknüllte den Brief zu einer Kugel und warf sie auf ein Foto des ’Bama Butterfly. Große Schweißflecken tränkten sein weißes Hemd.
    »Hab ich das verdient?«, fragte er.
    Etta brachte den zerknüllten Brief zurück, riss ein Streichholz an und zündete ihn an. Sie ließ den brennenden Ball in einen Aschenbecher fallen und sah der lodernden Flamme zu, bevor sie wieder auf ihren Hocker kletterte.
    John X betrachtete sie traurig, nahm die Flasche zur Hand, brach das rote Wachssiegel auf und füllte ein Saftglas mit Whiskey.
    »Criminentlies«, sagte er, »aber deine Ma ist ’ne Klasse für für sich, Kleine.«
    »Nehm ich auch an«, sagte Etta. »Sie hat mich in der Shivers Street abgesetzt und gesagt, ich soll zu Fuß hergehen. Gibt ihr Zeit, sich davonzumachen, eh, Dad?« Sie hielt die Colaflasche mit beiden Händen, hing mit hochgezogenen Schultern an der Bar, den Blick gesenkt wie eine frühzeitig unglückliche Schnapsdrossel. Mit Kosmetik hatte ihr junges Gesicht bereits Bekanntschaft gemacht, und ihre derzeit bevorzugte Lippenfarbe war Türkis. »Mom hat mich zuerst noch packen lassen, im Trailer.«
    »’ne Klasse für sich«, sagte John X.
    Er zog das Glas Whiskey näher an sich heran. Etta warf einen Blick darauf und sagte dann: »Sie hat gewusst, dass du das machen wirst.«
    »Dass ich was mache?«
    »Dir ’nen Riesenwhiskey einschenkst und ihn weghaust.«
    »Oh«, sagte er, »dazu braucht’s nun wirklich keine Kristallkugel.« Er hob das Glas und ließ den Bourbon in einem einzigen Schluck die Kehle hinunterrinnen. »Und nach dem Drink, was mach ich als Nächstes?«
    »Da rennen wir zum Krankenhaus und besuchen Grampa Enoch, hat sie gesagt.«
    Während er sich nachschenkte, nickte John X und sagte: »Was dann?«
    »Na ja, sicher war sie sich nicht, aber sie hat darauf getippt, dass wir abhauen..«
    Lunch Pumphrey hieß Lunch, weil er, wenn er gekonnt hätte, jedem denselbigen weggefuttert hätte. Das gestohlene Geld war ursprünglich ein Wettgewinn zweier Zahnärzte aus Baltimore, die unten in Hialeah rein intuitiv auf ein Pferd namens Smile Please gesetzt hatten; Lunch hatte es ihnen schließlich im Flamingo Motel abgenommen. Lunch war um die dreißig, ziemlich übel drauf und stiller Teilhaber an Enoch’s Ribs and Lounge. Bei einem Haufen allerlei schmutziger Unternehmungen entlang der Golfküste zwischen Biloxi und Tampa war er der eher laute Teilhaber, und sein Heimathafen war hier in Mobile. Man sagte ihm nach, dass er gerne Leute quälte, entweder geschäftlich oder auch nur so zum Vergnügen, je nach Gelegenheit, und dass

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