Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
»Ich möchte nicht, dass du dir darüber den Kopf zerbrichst.« Er wandte den Blick nicht von der Straße und warf sich leicht in die Brust, um seiner Ansage Nachdruck zu verleihen. »Mir ist schon klar, dass ich als Daddy ein bisschen daneben bin, aber ich möchte, dass du eins weißt: Wenn jemand dir was antun will oder sich mit mir anlegt, kann ich stinksauer werden, und, Schätzchen, wenn ich erst mal wütend bin, dann schwing ich die Fäuste wie Popeye .«
2
Drüben im Delta, wo der Big River braun und mächtig fließt und träge Sümpfe zwischen seinen Seitenarmen lauern, legte sich Rene Shade rücklings auf eine Decke und sah in den Himmel über dem kleinen Garten von Nicole Webbs Haus in Frogtown. Er beobachtete die Herbstparade von Millionen Vögeln, die entlang des Big River nach Süden zogen. Sie folgten dem Fluss vom nahen und vom fernen Norden her, und jetzt nahmen sie den Himmel in Beschlag, in lebhaften Legionen und in großer Vielfalt, kreischend, zwitschernd, auf der Wanderschaft nach Sonstwohin. Das alljährlich wiederkehrende Schauspiel am Himmel machte wehmütig, wirkte aber irgendwie auch beruhigend auf Shade, dessen Welt kopfstand, seit man ihn für neunzig Tage vom Dienst als Detective in St. Bruno suspendiert hatte. Insubordination lautete der Vorwurf, doch Tatsache war, dass er es nicht fertiggebracht hatte, einen entwaffneten Verdächtigen abzuknallen, der einen Cop getötet hatte. Sie hatten seine Waffe und seine Marke konfisziert und auch noch etwas anderes, das er nicht so ganz benennen konnte.
Heute war der achtzehnte Tag seiner Suspendierung, und zwischen seine Beine schmiegte sich ein Marmeladenglas mit Tequila Sour. Neben ihm lag ein Stapel Zeitungen, und darauf ruhte eine eben erst gereinigte, nicht registrierte und durch und durch illegale .38er Taurus. Seine blauen Augen waren von einer leichten Röte getrübt, und eine frische rosa Narbe hatte sich zu den altvertrauten auf seiner Stirn gesellt. Er verfolgte den Flug der Vögel über einen herzzerreißend blauen Nachmittagshimmel, hob die Pistole mit der einen Hand, das Marmeladenglas mit der anderen und sagte: »Weißt du, ich bin schon ganz nah dran, wieder normal zu sein, aber irgendwie komm ich einfach nicht übern Berg.«
»Ich mag dich so, wie du bist«, sagte Nicole. Sie saß auf einem Stuhl am Maschendrahtzaun, der den Garten begrenzte, und las ein Buch. Der Duft von am Zaun verwelkendem Geißblatt umwehte sie. Nicole, die aus romantischen Flausen und Fernweh Texas verlassen hatte, machte gerade eine Phase als psychedelisches Cowgirl durch und trug ein ärmelloses stahlblaues Hemd mit perlmuttfarbenem Schulterteil, rote Stiefel mit schwarzen Adlern darauf und verwaschene Jeans, so abgetragen, dass sie nur noch weißer Fadenschein waren und so gut auf ihren Hintern passten wie das Wort unverschämt. Sie war groß und schlank, mit Oliventeint und langen dunklen Haaren, die sie zu einem beeindruckend bauschigen Pferdeschwanz zurückgebunden hatte. Eine Lesebrille mit schwarzem Gestell thronte auf ihrer Nase, aber ansonsten wirkte sie eher wie ein Cowgirl, das in einem präraffaelitischen Fiebertraum über eine Purpurprärie hätte reiten können. »Ich mag dich echt, Rene, aber ich hab eben auch einen Hang zu Soziopathen.«
»Da kann ich mich ja beglückwünschen«, sagte er. Shade trug nur graue Trainingsshorts und einen ebenso mürrischen wie wie undurchschaubaren Gesichtsausdruck. Auf Zehenspitzen schaffte er die eins achtzig, hatte muskulöse Schultern und Arme und einen Bauch wie ein Waschbrett. Der archaische Anschnitt seiner Koteletten und die langen braunen Haare, die ihm widerspenstig in die Stirn fielen wie einem verwahrlosten Straßenbengel, erweckten schon auf den ersten Blick Bedenken, was seinen Charakter betraf, und sein Gesicht tat nichts, um diesen Argwohn zu mildern. Seine Augen blickten blau und herausfordernd, und seine Nase war wenig elegant verbeult, weil sie die Folgen dieses Blicks oft genug abgefangen hatte. Mahnmale seiner ungezügelten Vergangenheit waren ihm rundherum ins Gesicht gestickt, un d rosa prangte die jüngste Narbe über seinem rechten Auge. Trotz seines angeschlagenen Aussehens besaßen seine Züge einen ruppigen Reiz, und dann war da noch eine großzügig nach allen Seiten verteilte Du-mich- auch -Attitüde, die in gewissen Gegenden blendend ankam.
»Vielleicht bin ich, wo ich sein sollte – weg von den Cops und wieder zu Hause in Frogtown.«
Ohne von ihrem Buch aufzusehen,
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