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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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Kleine, ich war immer eher wie Spanky, verstehst du«, sagte er klug und weise, »und sie war mehr der Alfalfa-Typ. Die Mischung haut auf Dauer eben nicht hin.«
    »Öh«, murrte Etta. »Sie hat gesagt, sie wär jetzt zu erwachsen für dich.«
    »Das ist nur die halbe Wahrheit.«
    Sie durchquerten die Eingangshalle und traten auf die Straße, als die ersten fetten Regentropfen fielen. Bäume tanzten Shimmy im leichten Golfwind. Die Straßen verströmten den angenehm hoffnungsfrohen Geruch von frischem Regen auf heißem Asphalt.
    »Und was haben wir für ’ne Strategie, Dad?«, fragte Etta. Er zuckte die Achseln und lächelte. Für einen Moment sah er wieder so attraktiv aus wie früher: blaue, verführerische Augen, kräftiges Kinn, stolze Nase, ein tolles Na-komm-schon-Grinsen.
    »Erstens, den Truck finden«, sagte er. »Zweitens, abhauen.«
    Der Truck war orange und in traurigem Zustand. Seine Farbe verdankte er einem Lack-Angebot zum halben Preis, und sein Zustand beruhte schlicht auf Nachlässigkeit. Die Kolben brabbelten wie Streithähne beim Familienkrach. In den verrosteten Auspufftopf hatte sich ein faustgroßes Loch gefressen, sodass die Abgase bei jedem Hals an einer Ampel ins Führerhaus drangen. Auf der Beifahrerseite glich die Windschutzscheibe einem Spinnennetz wegen der Sprünge rund um ein Loch, das eine Kugel vom Kaliber .22 hinterlassen hatte; das Schussloch hatte sich Enoch eingefangen, als er eines Nachts seine Coonhounds auf einem Grundstück spazieren gefahren hatte, dessen Betreten ihm ausdrücklich untersagt worden war. Die Reifen waren fragwürdig, aber das Radio funktionierte, und mit jedem Knopfdruck ließ sich ein anderer Country-Sender einstellen. An der Heckklappe prangte ein großer Aufkleber, der verkündete: Ist mir doch scheißegal, wie ihr’s oben im Norden macht .
    Der Schnaps minus einer Flasche, die im Führerhaus mitfuhr, lagerte in einer Kühlbox aus Plastik, die Enoch auf der Ladefläche hatte stehen lassen. Die beiden Koffer ruhten auf dem Boden unter Ettas Füßen.
    Der Truck stand jetzt auf dem Randstreifen einer Asphaltstraße, von wo aus man den Breeze-In-Wohnwagenpark im Blick hatte. Es nieselte, und Sirenen jaulten. John X tastete blind nach der Flasche und ließ den Blick nicht von den mindestens fünf Meter hohen Flammen, die aus seinem Trailer schlugen.
    »Ich hab ihn nicht umgebracht«, sagte er, als seine Hand die Flasche fand. »Und auch nicht so schlimm verletzt, glaub ich jedenfalls. Aber so was wie das da macht Lunch immer, wenn sich eine Gelegenheit bietet.«
    Ettas Gesicht war leichenblass, ihr Mund stand offen. Seit sie das Feuer erblickt hatte, starrte sie wie gebannt auf die Flammen. Die Arme hatte sie fest um die Schultern geschlungen .
    John X schenkte zwei Fingerbreit Whiskey in ein Glas mit rosa Elefanten darauf, das er ständig in E nochs Handschuhfach aufbewahrte. Er spülte sich mit dem Whiskey den Mund und schluckte ihn dann hinunter. Die Wohnwagenwände waren eingebrochen, und während die Flammen sein jüngstes Heim zerstörten, schloss John X die Augen vor dieser schauderhaften Tatsache und der Symbolkraft des Anblicks.
    »Nun, Kleines«, sagte er traurig. »Ich höre den Ruf der Landstraße. Was meinst du?«
    Ihr Blick blieb aufs Feuer geheftet, und ihre Zunge huschte über die jungen, bemalten Lippen.
    »Du bist am Steuer«, sagte sie.
    Drei Stunden später versiegten die nachmittäglichen Regengüsse, und der Sonnenuntergang war rosafarben und vielversprechend. Nach Pascagoula hatten sie den großen Golf-Highway verlassen und einen kleineren genommen, der von der Küste wegführte und von Karibischen Kiefern, Stacheldrahtzäunen und Hühnerställen gesäumt war.
    »Gönn mir mal ’n kleines Vögelchen, mein Engel«, bat John X.
    »Sekunde noch«, sagte Etta. Sie hatte sich vor lauter Langeweile die Fingernägel angepinselt, und gegenwärtig hingen ihre Hände aus dem Fenster, damit der lila Lack trocknete. Der Fahrtwind blies das schwarze Kruzifix an ihrem Ohr waagerecht nach hinten. Nach ein paar Sekunden waren ihre Nägel trocken genug, und sie nahm die Hände herein, um ihm ein Vögelchen namens Maker’s Mark in das Glas mit den rosa Elefanten zu setzen. Als sie ihm das Glas hinstreckte, fragte sie: »Was würde Lunch denn mit uns machen, wenn er uns finden sollte?«
    »Zerbrich dir mal darüber nicht den Kopf«, sagte er und nahm den Whiskey entgegen. »Dafür bin ich zuständig.« Er trank das Glas aus und stellte es auf dem Sitz ab.

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